Wie Corona den Musikhandel verändert hat
Der ehemalige Wirtschaftsminister Otto Graf Lambsdorff war hier zu Gast, ebenso Max von der Grün, einer der wichtigsten Autoren der Nachkriegszeit. Young Steinway Artist Svetlana Meermann-Muret, Martin Stadtfeld und Prof. Christoph Spendel haben hier vor erlesenem Publikum gespielt. Die Liste bedeutender Persönlichkeiten, die im Konzert- und Flügelsaal des Neuwieder Familienunternehmens Piano Thilemann zu Gast waren, ist lang und zeugt von der großen Reputation, die dieses Haus genießt. Nach einem langen Corona-Jahr wird das Neuwieder Traditionshaus seine Veranstaltungen wieder aufnehmen. Wir haben nachgefragt.
Herr Thilemann, Ihre Prognose für den Musikhandel in Corona-Zeiten war düster. Wie sehen Sie das jetzt im Rückblick?
Ulrich Thilemann: Ich muss meine eigene Prognose revidieren. Tatsächlich haben viele Menschen durch das lange Home-Office die musikalische Seite in sich entdeckt und insbesondere den Weg zum Tasteninstrument gefunden. Dadurch konnten wir den Geschäftsverlust, der uns durch den Umsatzwegfall von Leihinstrumenten und durch Konzertabsagen entstanden ist, kompensieren.
Zusätzlich haben wir unsere Kompetenz als regionaler Spezialist für 88 Tasten stärken können.
Die durch Corona vorgeschriebene Beratung nach Terminabsprache werden wir weiter beibehalten. Das garantiert eine bestmögliche Beratung für immer nur einen Kunden bzw. eine Familie. Das Thema Corona ist leider noch nicht zu Ende.
Ihre Stärke ist . . .?
Ulrich Thilemann: . . . zum Wunschprodukt professionell beraten zu können. Das macht die Qualität des Fachhandels aus. Wer in ein Piano oder einen Flügel investiert, braucht eine fachmännische Beratung und Begleitung von der Anschaffung bis zur Aufstellung. Das gilt nicht nur für professionelle Musiker, sondern auch für Einsteiger. Bei einem nicht gestimmten und technisch mangelhaften Klavier - häufig aus der Quelle „Klavier zu verschenken, muss nur neu gestimmt werden“ - verliert der Klavierschüler sehr schnell den Spaß am Klavierspielen.
Von sogenannten Schnäppchen, wie man sie häufig auf Online-Plattformen für Gebrauchtinstrumente findet, kann ich nur dringend abraten! Sie haben keinerlei Garantien. Sie werden in den allermeisten Fällen durch ein unrealistisches Preis-Leistungsniveau zu Fehlkäufen verführen. Denn nur ein Fachmann, wie zum Beispiel ein Klavierbauer, kann beurteilen, ob das Instrument tatsächlich noch die erforderliche Leistung bringt, oder ob es, im schlimmsten Fall, entsorgt werden sollte.
Welche Gefahren lauern denn konkret?
Ulrich Thilemann: Ein Klavier oder Flügel besteht aus Naturmaterialien wie Holz, Filz, Leder und Stahl, die sich im Laufe der Zeit verändern. Anfang 1900 hat man den Kunden erklärt: Stelle ein Klavier nicht an eine Außenwand! Dafür gab es einen Grund: Die Gebäude waren schlecht bis gar nicht isoliert und somit konnte die Feuchtigkeit durch die Wände in die Räume kommen, sodass sich hinter dem Klavier Schimmel bildete.
Heute haben wir genau das gegenteilige Szenario. Gerade in den letzten 15 Jahren bis heute werden durch die Isoliervorschriften von neuen Gebäuden extrem trockene Häuser und Wohnungen gebaut.
Mit der Fußbodenheizung und noch zum Teil einem schönen Kaminofen im Wohnzimmer haben diese Gebäude im Winterhalbjahr bei ca.22 Grad Raumtemperatur meist nicht mehr als 20 bis 22 % relative Lustfeuchtigkeit! Das ist nicht nur für die Haut und die Schleimhäute der Menschen, die dort wohnen, ungesund, sondern auch für unsere Instrumente.
Um das Instrument vor Austrocknung zu schützen, sollte die Luftfeuchtigkeit zwischen 50 und 60 Prozent betragen. Die einzige Option ist ein Luftbefeuchter. Im Schnitt braucht man ca. 10 Liter Wasser pro Tag, um die vorgegebene Luftfeuchtigkeit zu erreichen.
In unserem Konzertsaal verfügen wir über eine optimale Luftfeuchtigkeit von 50 bis 60 Prozent. Deshalb können hier gerne Flügel oder auch Klaviere auf Wunsch eingelagert werden.
Apropos Konzertsaal. Wann werden Sie die Konzertreihe wieder aufnehmen. Worauf dürfen wir uns freuen?
Ulrich Thilemann: Ich bin vorsichtig optimistisch, dass wir wieder Konzerte in Zusammenarbeit mit der Landesmusikakademie durchführen können.
Sie arbeiten seit 35 Jahren auch mit digitalen Instrumenten. Gibt es Unterschiede zum analogen Instrument?
Ulrich Thilemann: Die gibt es definitiv. Das klassische Instrument wird auch immer die erste Wahl als Konzertinstrument sein. Für den Spielenden, der das passende Umfeld und die nötigen Valuten hat, auch immer eine beste Empfehlung. Hochwertige digitale Instrumente werden immer beliebter und unterscheiden sich in der Klangqualität und im Anschlag kaum noch vom klassischen Instrument. Und sie entsprechen dem Trend zur Individualisierung. Die Arbeitswelt ist flexibler geworden und infolge dessen auch die Arbeitszeiten und das Freizeitverhalten. Wer heutzutage Lust hat, auch mal mitten in der Nacht Klavier zu spielen, ohne die Nachbarn wecken zu wollen, kann das dank digitaler Instrumente tatsächlich tun. Bluetooth und Kopfhörer machen das möglich.
Die digitale Technik hat aber auch noch einen weiteren Vorteil. Klaviere müssen nicht mehr gestimmt werden - gut für unsere Kunden, schlecht für uns. Beim Thema Fußbodenheizung gibt es auch keine Probleme mehr. Dennoch gibt es eingefleischte Pianoliebhaber, die behaupten „Alles, was einen Stecker hat, ist kein richtiges Klavier. Aber – wie überall – geht in unserer Branche die Entwicklung weiter, auch wenn es nicht allen gefällt.