In der Natur spielt die Musik


Techno-DJ, Biologe und Naturschützer Dominik Eulberg setzt sich auf kreative und außergewöhnliche Weise für Natursensibilisierung und Schutz der heimischen Biodiversität ein.

Keinen Zugang zu Medien, eine Kindheit ohne Fernseher, keinerlei Interesse an Musik – dass aus dem jungen, in Westerburg aufgewachsenen, Dominik Eulberg mal ein in ternational bekannter DJ wird, konnte damals noch keiner ahnen. Seine Liebe zur Natur hin gegen war schon früh erkennbar. Heute setzt sich der 44-jährige Westerwälder auf mannig faltige Art und Weise dafür ein, unsere Herzen für die Schönheit und Schützenswürdigkeit der Natur zu sensibilisieren – und das nicht zuletzt durch seine Musik.

Auf den Sound kommt es an

Das erste Mal in Berührung mit elektronischer Musik kam Dominik Eulberg als Teenager. Per Ghettoblaster hörten die älteren Nachbarjungs die HR3 Clubnight mit Sven Väth. Die besonde ren Klänge faszinierten ihn und beflügelten sei ne Neugier. „Das war für meine jungfräulichen Sinne doch was sehr Besonderes. Diese Klänge – Text: Jacqueline Schlechtriem wo kommen die her?“, fragte sich der damalige Schüler und begab sich auf Spurensuche – bes ser gesagt, auf Klangsuche. Denn es war per se nicht die Musik, die ihn so faszinierte, sondern der Sound, „die Genese des Klangs“, wie er es heute beschreibt. „Als ich das erste Mal elektronische Musik ge hört habe, habe ich die Seele der Natur wieder gefunden. Dieser apodiktische Fluss des Lebens, dieses unumstößliche Kommen und Gehen. Das Leben hat ja einen permanenten Puls, ob das jetzt unser Herzschlag ist, ob das draußen die Jahreszeiten oder die Tageszeiten sind. Das wird in der elektronischen Musik sehr gut abge bildet“, erklärt der DJ und Produzent und fügt hinzu, dass man diesen Fluss auch bei einem DJ-Set immer versuche zu imitieren, in dem man verschiedene Stücke ineinander mixt und dabei fließende Übergänge schafft. „Ein Fluss, in den man springen und sich treiben lassen kann. Das fand ich total faszinierend.“

Sich zugehörig fühlen

Da es im Westerwald damals nicht die Möglichkeit gab, einen Synthesizer auszuprobieren, machte Eulberg verschiedene Ferienjobs, sparte Geld, um sich schließlich die richtige Tech nik beschaffen zu können und Klangforschung zu betreiben. Als in Westerburg ein Plattenladen aufmacht, geht er dort nach Unterrichtsschluss arbeiten, sitzt somit an der Quelle aller neuen Platten. Schnell entsteht ein Netzwerk und jede Woche gibt es Veranstaltungen, bei denen er auflegt: Grillhüt ten-Partys, illegale Raves in Kieswerken oder Steinbrüchen sowie in Mehrzweck-Turnhallen im Westerwald. „Das fand ich damals total toll. Das war so das erste Mal eine Bewegung oder eine Subkultur, in der ich mich wohl gefühlt und gesehen gefühlt habe. Der Mensch neigt immer sehr dazu, zu werten. Man wird direkt in eine Schublade ge steckt und auf den Techno-Events, da war das egal. Auf der Tanzfläche waren alle gleich, egal welche Hautfarbe, wo sie herkamen, welche sexuelle Ausrichtung oder wieviel Geld sie haben – das war wurscht! Dadurch war das so ein buntes Konglomerat von Menschen, die die Freude am Leben ver bunden hat. Das fand ich faszinierend.“

Vom Neuling zum internationalen Erfolg

Nach seinem Abitur 1998 am Konrad-Adenauer-Gymnasi um in Westerburg absolviert Eulberg seinen Zivildienst im Behindertenheim in Seck und beginnt anschließend sein Studium in Bonn. Seine Wahl fällt auf „Ökum“ – Ökologie und Umwelt –, ein interdisziplinärer Studiengang beste hend aus Geografie, Biologie, Geologie und Soziologie. An schließend arbeitet er in Nationalparks – lebt dort sogar ein halbes Jahr lang in der Natur – macht weiterhin Musik. Als ein Kommilitone anfängt bei Kompakt, einem Platten laden und Label in Köln, zu arbeiten und eine von Eulbergs CDs abgibt, geht alles ganz schnell. Der Westerwälder fühlt sich wohl und verstanden, darf weiterhin das machen, was er möchte, unterschreibt 2003 beim Label Traum Schall platten und hat mit seinen ersten Platten direkt Erfolg: Produzent des Jahres, Newcomer des Jahres, Deutscher Dance Musik Award sind nur einige Auszeichnungen des DJs. „Es war niemals meine Intention, Musiker zu werden, und dann wollte mich plötzlich jeder haben und buchen für sehr viel Geld und da dachte ich mir ja, warum nicht. Machst du das mal so ein Jahr lang, ist doch eine gute Er fahrung.“
Seitdem sind 20 Jahre vergangen und Eulberg macht immer noch Musik, begeistert so ziemlich jedes Wo chenende mit seinen Sets. Ihm wurde damals schnell bewusst, wie viele Menschen er erreichen kann. „Es ist extrem wichtig, Menschen zu sensibilisieren, die sich noch gar nicht so mit Natur und Umwelt beschäftigt haben und da ist die Musik, oder Kunst und Kultur ge nerell, ganz wunderbar, weil sie sehr lustvoll und nie derschwellig ist. Technomusik hören oder sich schöne bunte Bilder angucken machen die Leute lieber, als sich eine wissenschaftliche Studie mit lauter kryptischen Fachbegriffen durchzulesen.“
Vielfältige Projekte – für die Unterhaltung und die Natur
Inspiration für seine Arbeit findet Eulberg draußen vor der Tür: „Die Natur ist für mich einfach die größte Künstlerin von allen und als Künstler braucht man ja eine Muse, eine Inspirationsquelle, und bei mir ist die Natur meine Muse.“ Das spiegelt sich in all seinen Projekten wider – und davon gibt es viele. Beispielsweise sein letztes Album „Avichrom“ – ein Kunstwort, das so viel bedeutet wie Vogelfarben – folgt einem Konzept aus der Natur. In Deutschland gibt es elf ver schiedene Farben, die in Namen heimischer Brutvogelarten auftauchen, wie zum Beispiel Blaumeise, Rotmilan, Braun kelchen oder Silbermöwe. „Ein zwölftes Musikstück brauch te ich also gar nicht anzufangen.“ Neben seinen mehr als hundert musikalischen Veröffentli chungen entwickelt Eulberg Natur-Sensibilisierungsspiele, wie das multimediale Vogelquartett „Fliegende Edelsteine“ oder das Kartenspiel „Avichrom“. Mit dem renommierten Natur filmer Jan Haft arbeitet er an TV- und Kinofilmen. Außerdem ist er Buchautor beim Eichborn-Verlag, wo er sein Naturbuch „Mikroorgasmen Überall“ veröffentlicht hat, das den Litera turpreis „Wissensbuch des Jahres 2020/21“ gewann. Ein Buch, das zum kindlichen Staunen einlädt. Wohltuend und überra schend, wie ein Spaziergang durch die Natur. Jetzt ist sein zweites Buch „Tönende Tiere“ erschienen. Hier stellt Eulberg, zusammen mit dem Künstler Matthias Garff, fünfzig spannende Tierarten vor, die die akustische Mannig faltigkeit der heimischen Fauna aufzeigen. Der DJ erweckt die Buchseiten zum Leben, verbindet sie mit eigens aus den Tierstimmen komponierten Stücken, die durch Abscannen von QR-Codes zum Klingen gebracht werden können, und verleiht den Tieren als Musikanten so ein Instrument. Illus triert wird das Ganze von Garffs aus Alltagsgegenständen nachempfundenen Tierskulpturen. Zu diesem Buch ist au ßerdem eine Wanderausstellung im deutschsprachigen EU Raum in Planung.

Menschen für die Natur begeistern

Dominik Eulberg ist Botschafter vieler Naturschutzorgani sationen, macht Sachen für den Bundestag, ist Gastwissen schaftler am Museum für Naturkunde in Berlin. Außerdem hat der 44-Jährige mittlerweile Angebote für einen Ehren professortitel. Und sogar eine neu entdeckte Wespenart soll nach ihm benannt werden. Es sei zwar alles sehr eigen, was er mache, aber genau das ist es, womit der Westerwälder heraussticht. Nicht bewusst, aber mit Nachwirkung – für den Naturschutz. Wurde er früher vor allem in seiner Hei mat als „der Spinner, der Techno macht und komische Vo gelstimmen aufnimmt“, gesehen, hat sich mittlerweile auch im Westerwald herumgesprochen, was Eulberg alles kann und macht. Er arbeitet mit den Nabu-Ortsgruppen zusammen, bietet Biodiversitätsshows, Amphibienwanderungen oder Lesun gen an, baut selbstverständlich den Krötenschutz in der Region mit auf. Im Stöffel-Park in Enspel ist er sehr aktiv, wo auch im nächsten Jahr ein ganz besonderes Event rund um Natur und Musik stattfinden soll. „Ich finde es wichtig, vor Ort mit anzupacken. Nicht nur labern, sondern auch machen!“, ist seine Devise. Und wenn er am Wochenende in Clubs oder auf Festivals auflegt, werden zusätzlich auch gerne noch Fledermaus- oder Vogelführungen angeboten. Neben seinem DJ-Equipment hat er auch seinen Exkursi onskoffer mit vielen Ferngläsern immer dabei.

Anderen die Augen öffnen

Dominik Eulberg sieht seine Aufgabe auch darin, Dinge aufzuzeigen, die schief laufen. Als freischaffender Künstler könne er auch mal Tacheles reden, denn er müsse sich nir gendwo rechtfertigen. „Wir werden zu oft Opfer vom Lob byismus und damit möchte ich aufräumen!“ Das entschei dende beim Thema Naturschutz sei, dass es nicht richtig oder falsch gebe. „Wichtig ist immer der Versuch einen Kon sens zu finden. Wir brauchen immer den offenen Dialog.“ Von dystopischem Alarmismus und der Verschleierung wahrer Probleme hält er hingegen gar nichts. Auch nicht, dass Probleme versucht werden auf die klei ne Frau oder den kleinen Mann umzulegen. „Insektensterben oder das Artensterben generell sind systemische Probleme. Den Leuten wird immer gesagt, jeder kann was machen, legen Sie den Garten naturfreundlich an. Das ist jedoch so nicht die Lösung des Problems. Weniger als zwei Prozent der Bundesfläche sind Gartenflächen. Sie können zwar in den ansonsten ausgeräumten Flächen klei ne Arche Nohen sein und wichtige Orte der Umweltbildung. Die wirklich bedrohten Arten kommen jedoch nicht in den Garten. 95 Prozent aller vom Aussterben bedrohten Insek tenarten leben ausschließlich nur noch in Schutzgebieten. Gerade einmal sieben Prozent der 585 heimischen Wildbie nenarten beziehen Insektenhotels. Die 18 häufigsten der 259 heimischen Brutvogelarten machen 80 Prozent der Vogel-In dividuenanzahl aus. Alles Gartenvögel, die wir verwöhnen. Die wirklich bedrohten Arten kann man jedoch hier nicht retten. Ich habe noch nie ein Rebhuhn, einen Kiebitz oder einen Wachtelkönig im Garten brüten sehen. Und das ist mir ganz wichtig, die Leute dazu anzuregen, das Bild im Gan zen zu sehen und keinem Ablasshandel zu erliegen“, so der Mann vom Fach. Der Naturschützer hat es sich auf die Fahne geschrieben, aufzuklären, zu sensibilisieren, die Menschen dazu zu ani mieren, der Natur wieder Gehör zu schenken – und das auf seine ganz eigene Art und Weise, aber mit großem Erfolg