Umweltschutz und Klimaneutralität sind zu zentralen Themen unserer Zeit geworden. Mit der geplanten Einführung eines Verbots für Verbrennungsmotoren ab 2035 setzt die EU verstärkt auf Elektromobilität als die Lösung der Zukunft. Doch sind rein elektrische Antriebe wirklich der einzig richtige Weg? Die Kölner Griesemann-Brüder, Björn und Georg, sehen in dieser Vorstellung nur eine Facette und arbeiten bereits heute an einer leistungsfähigen, nachhaltigen Alternative: E-Fuels.
Was sind E-Fuels?
Nachdem es im ersten Teil dieser Reportage um die Geschichte des Teams Griesemann bei den 24-Stunden-Rennen auf dem Nürburgring und deren E-Fuels-Projekt ging, wird nun erklärt, was E-Fuels eigentlich sind. Der wichtigste Unterschied zu konventionellen Kraftstoffen besteht darin, dass E-Fuels nicht auf fossilen Rohstoffen basieren und somit keine endlichen Ressourcen wie Erdöl verbrauchen. Klimaneutrale E-Fuels, auch synthetische Kraftstoffe genannt, werden aus erneuerbaren Energiequellen wie Windoder Solarenergie, dem sogenannten „grünen Strom“, hergestellt. Dabei werden Wasser und Kohlendioxid (CO2) in flüssige Kraftstoffe wie synthetisches Benzin oder Diesel umgewandelt.
Im Gegensatz zu herkömmlichen fossilen Brennstoffen führen E-Fuels kein zusätzliches CO2 in die Atmosphäre, da das CO2, das bei der Verbrennung freigesetzt wird, zuvor aus der Atmosphäre entnommen wurde. Dies schafft einen nahezu geschlossenen CO2-Kreislauf und bietet nicht nur eine umweltfreundliche Alternative zu herkömmlichen Kraftstoffen, sondern steht auch nicht in Konkurrenz zur Nahrungsmittelproduktion, wie es bei einigen Biokraftstoffen der Fall ist.
Eine bemerkenswerte Umsetzung eines Kraftstoffs mit Bioanteil zeigte das Reutlinger Team FourMotors von „Fanta4“-Star „Smudo“. Im Jahr 2023 starteten sie bereits zum 21. Mal in Folge mit einem besonderen Umweltprojekt. Das auf Nachhaltigkeit spezialisierte Rennteam setzte bei seinen drei Porsche-Fahrzeugen auf sogenannte Bioconcept-Cars mit verschiedenen weiterentwickelten CO2-reduzierenden Technologien. Ihre alternative Kraftstoffformulierung enthält einen erneuerbaren Anteil von 60 %. Die Basis bildet ein sogenanntes „Blue Gasoline“, ein nachhaltiger Sonderkraftstoff von „Shell“, der zu 40 % aus erneuerbaren Komponenten wie Rest- beziehungsweise Abfallstoffen und zu 10 % aus regenerativem Reststoff-Ethanol von „CropEnergies“ besteht. Durch den Zusatz von weiteren 10 % Bioethanol erreicht der Kraftstoff eine Gesamteinsparung von etwa 40 % CO2 sowie eine Oktanzahl von über 100. Dieser nachhaltige Rennkraftstoff steht einem herkömmlichen Hochleistungskraftstoff in nichts nach.
Die beiden umweltfreundlichen Kraftstoffkonzepte eint, dass sie, im Gegensatz zu rein elektrischen Antriebsarten, keine aufwendig zu bauende neue Infrastruktur für die Stromerzeugung und -verteilung benötigen. Sie können in bestehenden Tankstellen und Kraftstoffanlagen vertrieben werden, was die Verfügbarkeit und Anwendung im Motorsport und im Alltag erleichtert. Zudem können E-Fuels in herkömmlichen Verbrennungsmotoren ohne Änderungen, ohne Leistungsverlust und ohne erhöhten technischen Verschleiß eingesetzt werden. Selbst in bis zu 100 Jahre alten Oldtimern!
Die Verwendung von E-Fuels und Biokraftstoffen ist ein vielversprechender Schritt in Richtung einer nachhaltigen Zukunft. Sie reduzieren Treibhausgasemissionen und fördern umweltfreundliche Technologien, wodurch Motorsportorganisationen und Autohersteller ihre Verantwortung für den Umweltschutz wahrnehmen können, ohne die Faszination und Spannung des Automobils abzuschwächen.
Während Elektromobilität für Pendler und Innenstädte sicherlich gewisse Vorteile bietet, stößt sie bei längeren Reisen, in ländlichen Regionen ohne ausgebauter Ladeinfrastruktur, in professionellen Nutzungsbereichen wie Feuerwehr, Polizei, Bau- und Landwirtschaft, sowie bei sportlichen und passionierten Automobilenthusiasten an ihre Grenzen. Vom Einsatz in der Flugzeug- und Schifffahrtsindustrie ganz zu schweigen, wo E-Mobilität absolut keine realistische Option ist. E-Fuels durchlaufen zudem denselben Raffinerie-Prozess wie herkömmliches Benzin. Auch diese Kraftstoffe werden mit Additiven angepasst, sodass sie problemlos in bestehenden Diesel- oder Ottomotoren verwendet werden können. Besagte Additive sind auch noch der Grund, wieso auch der Griesemann-Kraftstoff aktuell nur 95 % Klimaneutral ist. Aber auch hier arbeiten die Experten an besseren Lösungen.
Was bedeutet das alles für die Zukunft?
Die international tätige Wirtschaftsanwältin der renommierten Stuttgarter Kanzlei „DS Graner & Partner mbB Rechtsanwälte“, Stefanie Bieg, erklärt die juristische Seite: „Die EU-Kommission wird ‚außerhalb des Geltungsbereichs der Flottenzielwerte und in Übereinstimmung mit dem Ziel der Klimaneutralität der Union, einen Vorschlag für die Zulassung nach 2035 von Fahrzeugen, die ausschließlich mit CO2-neutralen Kraftstoffen betrieben werden, vorlegen.‘ Das Gesetzgebungsverfahren hierzu dauert derzeit noch an, sodass abzuwarten bleibt, ob es eine Ausnahme für E-Fuels betriebene Pkws geben wird.“
Für jeden, der nun Bedenken hat, dass sein Auto bald nicht mehr gefahren werden darf, erklärt die 35-jährige Juristin: „Grundsätzlich dürfen in der EU ab 2035 keine mit fossilem Diesel oder Benzin betankten Pkw mehr neu zugelassen werden. Dies gilt jedoch nur für die Erstzulassung, ein Verbot gebrauchte Pkw zu kaufen oder zu verkaufen, gibt es nicht. Bestandsfahrzeuge sind von den neuen EU-Vorgaben nicht unmittelbar betroffen, strengere Schadstoffrichtlinien zur Luftreinhaltung könnten allerdings dazu führen, dass ältere Autos von eventuell einzurichtenden Fahrverbotszonen betroffen sind. Dies vor allem in Anbetracht der Zielsetzung der EU, ‚auch die bestehende Flotte zu dekarbonisieren‘“.
Trotzdem: Die Einführung und Etablierung von E-Fuels könnten wichtiger sein, als viele in Europa glauben. Laut aktuellen Statistiken nutzen die derzeit 8,1 Milliarden auf der Erde lebenden Menschen 1,475 Milliarden Personenkraftfahrzeuge. Insgesamt machen die Fahrzeuge in Europa 28 % der weltweiten Gesamtanzahl aus (520 Fahrzeuge pro tausend Einwohner), während Nordamerika mit 24 % (710 Fahrzeuge pro tausend Einwohner) eine höhere Fahrzeugdichte pro Einwohner besitzt. Asien und Ozeanien dominieren mit 37 % aller weltweiten Autos, jedoch ist die statistische Fahrzeugdichte dort deutlich geringer. Nur 0,14 Fahrzeuge pro Kopf, sprich 140 Fahrzeuge pro tausend Einwohner, erreicht die Weltregion mit den größten Ländern der Welt.
Dies liegt vor allem an großen Wüsten- und Berggebieten, gewaltigen Urwäldern und wenig besiedelten Regionen. Südamerika kommt auf 0,21 Fahrzeuge pro Kopf, der Nahe Osten auf 0,19 und Afrika auf 0,06 Fahrzeuge pro Kopf. In der Antarktis gibt es lediglich 50 Autos pro tausend Einwohner. Die Einführung von klimaneutralen E-Fuels könnte also besonders in Regionen mit geringerer Fahrzeugdichte und schwacher Infrastruktur von großer Bedeutung sein.
Im Gegensatz zu den E-Fuels weist das Elektroauto einen hohen ökologischen Rucksack auf. Selbst wenn ein E-Auto ausschließlich mit Strom aus klimaneutralen Quellen betrieben wird – was heute noch utopisch ist, da nur 56 % (Stand aus dem „guten Windjahr“ 2023) der Energie aus erneuerbaren Quellen stammt – muss es eine bestimmte Anzahl von Kilometern zurücklegen, um die Emissionen, die durch den aufwendigeren Herstellungsprozess entstehen, wieder einzusparen. Laut ADAC liegt dieser Wert bei mindestens 75.000 bis 120.000 Kilometern.
Trotz aller Vorteile von E-Fuels, wird der enorme Energieaufwand bei der Herstellung der Kraftstoffe von vielen Umweltaktivisten und europäischen Politikern kritisiert. Doch Energie gibt es im Überfluss, vor allem von der Sonne. „Der Schlüssel zu allem ist [grüner] Wasserstoff“, sagt Björn Griesemann. An den richtigen Orten produziert – wie im E-Fuels-Testlabor von Porsche in Patagonien, das die konstanten Winde der „Roaring Forties“ nutzt – spielt die Energiebilanz keine Rolle, da der Strom klimaneutral erzeugt wird. Die Lieferkette kann global diversifiziert werden, da es viele dünn besiedelte potenzielle Stromerzeugungsgebiete gibt.
Die große Frage bleibt: Wann gibt es den synthetischen Kraftstoff? „Wenn wir alle Gas geben, können wir theoretisch in fünf Jahren den gesamten Motorsport versorgen“, verspricht Griesemann. Sein Bruder Georg hofft, dass der ADAC in Zukunft mehr für alternative Kraftstoffe tun wird, um den Komfort der Teams der Klasse „AT“ während des Rennens zu verbessern. So könnten beispielsweise die ersten Boxen abgesperrt oder eine FIA-Tankanlage mit klimaneutralen Kraftstoffen genutzt werden.
INFOS
Sie haben den ersten Teil dieser Reportage verpasst? Dann schauen Sie doch mal in unsere Sommer-Ausgabe 2024.
Text und Fotos: Roland Schäfges – www.myfoto24.eu