Miniaturwelt Ochtendung


Heimat auf 780 Quadratmetern
In Ochtendung entstehen Städte, Landschaften und Geschichten im Miniaturformat

Wer die Hauptstraße von Ochtendung entlangfährt, sieht auf den ersten Blick an Haus 25 nur die Glasfront eines zurückhaltenden Gebäudes aus einer Zeit, als hier noch ein SPAR-Markt beheimatet war. Parkplätze davor, das Dorfleben gleich nebenan, wie die überregional bekannte Eishütte von Lung’s Milcheis als süßer Anker im Ort in unmittelbarer Nähe. Doch hinter dieser Fassade ist die Welt in Miniatur verwandelt. Gleise zeichnen Bögen, und Städte atmen in Miniatur. Die IG kleine Modellwelt Ochtendung baut hier seit dem Umzug von Andernach aufs Maifeld im Jahr 2023 an einer besonderen Anlage. Sie will nicht „so ähnlich wie“, sondern genau wie die 1980er Jahre im Kreis Mayen-Koblenz – später flankiert von einem Nürburgring der 1990er – sein. Und weil es dafür Raum braucht, hat man in Ochtendung 780 Quadratmeter auf einer Ebene eingerichtet.

Diese Welt ist kein einsames Tüftlerprojekt – sie ist ein Gemeinschaftswerk. Der Inhaber des angeschlossenen Fachgeschäfts Miniaturwelt Ochtendung, Richard Ulmen, und sein Sohn Andreas Ulmen – seit März 2025 Vorsitzender der neu gegründeten Interessengemeinschaft – bilden das Duo an der Front. Hinter ihnen: rund 20 aktive Mitglieder und weitere Unterstützer. Die Vorgeschichte reicht zurück bis 2015, als in Andernach als IG Modellbahn Vordereifel erste Schritte getan wurden. Baumängel führten zum Ende des Clubheims, doch der Umzug erwies sich als Glück: Ochtendung bietet Fläche, Lage und Schnitt für eine Region, die sich perfekt im Kleinen wiederfindet. „Wir wollten keine Fantasieanlage“, sagt Andy Ulmen, „sondern Geschichtslandschaften, in denen Leute ihre Heimat erkennen oder ihren alten Arbeitsplatz.“

Ex-Supermarkt wird zur Erinnerungsmaschine
Es ist eine jener paradoxen Wendungen, die man im Feuilleton gerne festhält: Wo einst Kassen der Konsumgesellschaft piepten, entstehen vorbildgetreue Orte – und zwar nicht als dekorative Anspielungen, sondern als präzise Rekonstruktionen. Kern der Großanlage ist die TT-Welt im Maßstab 1:120, zeitlich verankert in den 80ern. Andernach ist da zum Beispiel mit seinem Runden Turm vertreten – dem stolzen, aus Backstein gefügten Wahrzeichen, das in der Miniatur Stein für Stein neu gedacht werden musste. Daneben der historische Kran am Rhein, etwas weiter weg das Freibad, das Stadion mit der alten Holztribüne, der Krahnenberg als topografisch markanter Rücken. Weißenthurm bringt seine Feuerwache, den Weißen Turm und das Kraftwerk am Rhein mit ein; der Blick weitet sich über die Raiffeisenbrücke hinüber nach Neuwied.

Schon jetzt steht die TT-Anlage auf breiter Bühne: 8,50 Meter misst sie an ihrer breitesten Stelle, und sie wächst – wöchentlich! Die Bäume zählen längst mehr als 70.000, die Häuser rund 200. Das Zielbild ist größer, bis zu 23 Meter Länge. Und es bleibt nicht bei den bereits sichtbaren Ensembles oder noch ausbaufähigen Orten. Monreal mit seinen Fachwerken kündigt sich an, Mayen mit der Genovevaburg soll ebenso kommen wie Koblenz mit Ehrenbreitstein und dem Deutschen Eck. Namedy steht mit Schloss und Geysir bereit, der Andernacher Hafen mit seinen Arbeitsgesten zwischen Wasser und Schiene. Der Reiz liegt darin, dass die Anlage nicht als „Best of“ gebaut wird, sondern als räumlich stimmiges Miteinander.

Parallel zur TT-Anlage entsteht in H0 (1:87) die Eifelquerbahn samt Stadt Mayen, verankert in den Jahren 1985 bis 1989. Hier werden Straßenfahrzeuge in Bewegung gesetzt: Ein CarMotion-System soll Busse, Laster und Einsatzfahrzeuge steuern. Man wird Blaulichtfahrten sehen, möglicherweise sogar einen historischen Karnevalsumzug. Die Steuerung der Anlagen ist digital, teils PC-geführt, mit manuellen Eingriffen für Vorführungen und Schienenalltag. Ein Tag-/Nacht-Rhythmus ist vorbereitet; Häuser, Straßen und Fahrzeuge sind für Beleuchtung ausgelegt. Wer durch die Räume geht, erkennt noch den nüchternen Ursprung: Decken, Wände, eine gewisse Großzügigkeit. Doch die Ulmens versprechen, dass hier auch der Raum nachziehen wird – Gestaltung, Atmosphäre, die Choreografie des Lichts.

Genauigkeit dank CAD, Archiv & 3D-Druck
Es ist kein Zufall, dass Architektur und IT hier verschmelzen. Ulmen ist gelernter Architekt, und diese Schule hört man in jedem zweiten Satz. Die Gebäude der Anlage entstehen eigenerdacht und eigengefertigt – nicht als zusammengestellte Bausätze, sondern als CAD-Modelle nach Originalplänen, Archivzeichnungen und fotografischen Vermessungen. Die Stadtarchive von Andernach und Koblenz, Unterlagen der DB AG: Was als zweidimensionale Vorlage kommt, wird am Rechner zum Volumenkörper, in Bauteile zerlegt, im 3D-Druck oder Laser-Cut produziert, gefügt, lackiert, gealtert, beleuchtet.

Wie viel Arbeit hier drin steckt, zeigt beispielsweise der Runde Turm von Andernach. Rund 200 Stunden flossen in die Konstruktion – jeder Stein musste bedacht, gesetzt, in Proportion und Fugenbild geprüft werden. Weitere ca. 50 Stunden dauerte der Druck im TT-Maßstab. Die Konstruktionszeichnung stammt vom Andernacher Ferdi Winnen; das Ergebnis ist Detailtreue im Kleinen. Deswegen entstehen hier zum Beispiel auch Auftragsarbeiten für Burgen, Schlösser und Altertümer des Landes Rheinland-Pfalz – etwa Schloss Stolzenfels oder die Porta Nigra –, die bereits bis nach Katar und Kanada gereist sind. Auch mit dem Miniatur Wunderland in Hamburg ist man verbunden: Teile aus Ochtendung finden ihren Weg in die Speicherstadt, wo die Modelleisenbahn längst ein Weltpublikum begeistert.

Doch Ochtendung will nicht Hamburg sein. Der Querverweis ist willkommen, der Vergleich lehrreich. Aber hier ist der Fokus regional: Es geht um Eifel und Rhein, um die Vordereifel als Heimatlandschaft. Das macht die Anlage eigenwillig stark: Sie lebt von Wiedererkennbarkeit, von Geschichten, die Menschen erzählen, wenn sie ein Gebäude sehen, das es so tatsächlich gab.

Dass eine solche Präzision nicht allein aus Talent, sondern aus Organisation entsteht, merkt man schnell. Die IG hat eine Planungsgruppe, die Leitplanken setzt: Welche Abschnitte werden wann gebaut, welche Dokumente fehlen, welche Technik welche Vorbereitung braucht. Pflichtstunden gibt es bewusst nicht – das, so sagen alle, soll Hobby bleiben. Und doch ist es ein Hobby mit professioneller Haltung: Elektrik und Steuerung werden sauber geplant, Schienen von geschulten Händen gelegt, Landschaften mit jener Mischung aus Naturstudium und Fantasie geformt, die im Modell glaubhaft wird. Viele Mitglieder sind Feuerwehrleute – das erklärt, warum Wachen, Logos und Fahrzeuge mit besonderer Sorgfalt entstehen und warum Einsätze künftig mit realistischem Tempo und Ablauf zu sehen sein werden.

Nürburgring in Miniatur
Es gibt eine zweite Erzählung, die schon jetzt in den Räumen atmet. Während in Hamburg der Formel-1-Glanz von Monaco zu sehen ist, antwortet Ochtendung mit einer regionalen Ikone: dem Nürburgring. Geplant ist eine H0-Anlage im Look der mittleren 90er Jahre, mit Grand-Prix-Kurs und Nordschleife – gerahmt von der namensgebenden Burg, den Ortschaften, den Tribünen und der Boxengasse, die im Original recherchiert und im Modell neu gebaut werden. DTM-Fahrzeuge jener Jahre – unter anderem von Herpa – werden an den Tribünen vorbeiziehen, Renntrucks von Wiking und Rietze mischen sich mit 3D-gedruckten Eigenbauten. Selbst der Abschleppdienst Lenz ist als detailgetreue Reminiszenz vorgesehen.

Die Zukunft ist geplant. In H0 wird Mayen weiter ausgebaut – Landschaft, Gleisanlagen, das Bahnhofsgebäude, der Ringlokschuppen, die Strecke Richtung Kottenheim. Auch erste Module des Nürburgrings könnten bald Form annehmen. In TT wächst Andernach in Richtung Namedy, der Krahnenberg markiert die Kulisse, und ein Laser-Cut-Modell des Mariendoms ist, Stand Spätsommer: zu 70 bis 80 Prozent fertig. Der Horizont für den Vollausbau bleibt bewusst weit: 2027 bis 2030 – nicht als Drohfrist. Gute Dinge, sagt man in Ochtendung, „müssen reifen.“

Wichtig ist, dass das Konzept funktioniert! Mehrere hundert Besucher kamen 2025 zum Sommerfest. Viele, die die IG bislang nicht kannten – angelockt über Zeitung, Social Media oder andere Clubs. Was das Projekt besonders macht, erschließt sich oft in Nebensätzen der Besucher, wenn jemand erzählt, er habe hier einmal gearbeitet oder dort gewohnt. Andere führen Fachgespräche über Decoder und Umsetzung. Und ganz nebenbei lernt man, dass Modellbau längst eine Ingenieursdisziplin im Kleinen ist: CAD-Entwurf, Druckverfahren, Leiterbahnen, Beleuchtungslogiken, Ereignissteuerungen.

Schnell wird klar: Die Anlage ist ein Heimatprojekt, ohne provinziell zu sein. Sie ist technisch anspruchsvoll, aber nicht prahlerisch. Sie ist öffentlich, ohne ein Spektakel zu sein. Sie hat das Zeug dazu, ein Fixpunkt zu werden: ein Ort, der Erinnerung pflegt, Handwerk sichtbar macht und Neugier entfacht. Man verlässt die Halle und schaut auf den Ort draußen, der in 1:1 weiterläuft. Vielleicht ist das der schönste Effekt dieser Welt: Sie lässt uns die Große im Kleinen erkennen – und umgekehrt.

EVENTTIPP
Am 6. und 7. Dezember 2025 ist Advents-Fest in der Modellbauwelt (jeweils 11-18 Uhr).

Text und Fotos: Roland Schäfges – www.myfoto24.eu