EIN TORWART-TRAINER, DER SCHULE MACHT


Das erste Spiel als E-2-Torhüter endete für Michael Kraft dramatisch. Weinend rannte der damals 7-Jährige nach der haushohen 0:14-Niederlage gegen die E-1-Jugend Steinefrenz Weroth zu seinem Großvater, donnerte die Handschuhe in die Ecke und schluchzte: „Ich gehe nie wieder ins Tor.“ Heute ist der gebürtige Westerwälder ein gefragter Torwarttrainer.

Im August letzten Jahres hat Michael Kraft (54) seinen Auslandseinsatz für den chinesischen Verein Beijing Sinobo Guoan beendet. Zwei Jahre hat er dort mit seinem sechsköpfigen Trainerstab gelebt, um dem chinesischen Fußball die Qualität für ein hochgestecktes Ziel zu geben: die Ausrichtung der Weltmeisterschaft 2030 im eigenen Land. Denn China hat große Ambitionen im Massensport Fußball, der schon längst dem erfolgsverwöhnten Tischtennis den Rang abgelaufen hat. „Das ist politisch auch so gewollt und wird entsprechend in den Schulen forciert“, sagt Kraft. „Aber weil China insbesondere im Profibereich auf wenige Ressourcen zurückgreifen kann, wird die Qualität an Trainern und Spielsystemen aus dem Ausland eingekauft.“

Michael Kraft war 11 Jahre als Profi-Fußballer aktiv, war Stammtorwart bei Bakirköyspor Istanbul in der Türkei sowie beim 1. FC Köln (1. Bundesliga) und FC Gütersloh (2. Bundesliga). Nach seiner aktiven Zeit ging er als Torwarttrainer nach Südkorea, war später acht Jahre bei Werder Bremen. Der damalige Cheftrainer Thomas Schaaf nahm ihn nach seiner Vertragsauflösung 2014 mit zu Eintracht Frankfurt. Als das Vertragsverhältnis 2016 endete, hatte Kraft bei Shijiazhuang Ever Bright in China schon das nächste Angebot in der Tasche.

Michael Kraft ist seit seiner Kindheit ein Fußballbesessener. Seit seinem siebten Lebensjahr spielt er im Heimatverein SpVgg Wirges, durchläuft dort alle Ebenen, von der Jugend bis zu den Senioren. Sein ehrgeiziges Ziel: Fußballprofi werden. Dafür kasteit er sich, lebt nur noch für den Sport, ist fast schon süchtig nach jeder Form von Zusatztraining. Obwohl er noch im ersten Jahr in der A-Jugend spielt, schafft es der Verein, beim DFB eine Sondergenehmigung für den erst 17-Jährigen zu erhalten: Kraft darf bei den Senioren in der dritten Liga spielen.

„Ich habe sehr aggressiv und fanatisch mein Ziel verfolgt, Fußballprofi zu werden.“

Die SpVgg Wirges war für den fußballverrückten Spieler ein Glücksfall. „Wir hatten mit Willibald Wolf, Bernd Schwickert und Manfred Adenau drei richtig gute Torwarttrainer - für die damalige Zeit keine Selbstverständlichkeit“, erzählt er und verschweigt auch nicht, dass es weniger das Talent war, das ihn ins Tor brachte, sondern eher nichtige Gründe: „Ich war der Jüngste und Kleinste von allen.“ Die Entscheidung, die der damalige Trainer und Stürmer der 1. Mannschaft, Manfred Lischewski, für ihn getroffen hat, hat er nur einmal bereut: bei besagtem Spiel gegen Steinefrenz Weroth.

Der Torwarttrainer macht jetzt Schule

China soll vorerst die letzte Auslandsstation gewesen sein. „Man verpasst zu viel vom Leben mit den Kindern“, meint der dreifache Familienvater, dessen jüngste Tochter Johanna gerade den fünften Geburtstag gefeiert hat.
Jetzt macht er erst einmal das, womit er bereits vor China begonnen hat: professionelles Torwarttraining für Jugendliche und Senioren. Sein Credo: Selbst ein guter Torwart kann sich noch verbessern, auch wenn er schon auf einem sehr hohen Level spielt.
Was Michael Kraft von vielen Torwarttrainern unterscheidet? Die Antwort hat er gleich parat: „Ich hatte zur FC-Zeit mit Rolf Herings als Torwarttrainer einen der Besten auf diesem Gebiet“, sagt er dankbar. Damals schon habe er - als Stürmer eingesetzt - das spielnahe Torwartspiel immer wieder im Training akribisch lernen müssen. Heute sei das anders, meint er und merkt kritisch an:

„Es wird zu viel Wert auf Show-Training gelegt. Die Übungen sehen zwar spektakulär aus, aber für das eigentliche Torwartspiel sind sie dann doch nicht so effizient, wie sie sein müssten.“

Den Torwart mit allen Match-Bewegungsabläufen vertraut zu machen, habe für ihn oberste Priorität. Seine Devise: Dem Torwart möglichst viele Lösungen mit auf den Weg zu geben, damit er erfolgreich agieren kann. „Und das step by step, akribisch und vor allem gemeinsam“, betont er.
Seit 2006, seiner Zeit bei Werder Bremen, lässt er beim Training Kameras mitlaufen, macht anschließend Videoanalysen, die hilfreich sind, wenn festgefahrene Strukturen vom Spieler nicht aufgebrochen werden können. „Das hat sich bewährt“, nickt Michael bestätigend. „Mein Torwart soll sich selbstbewusst aktiv aus der Situation heraus entscheiden, wie er dem Ball begegnet“, sagt er. Weil er selbst auf höchster Ebene als Torwart aktiv gespielt habe, könne er sich zu 100 Prozent auch mental in diesen hineinversetzen. Die Erfolge der DFB National-Torhüter Kevin Trapp und Tim Wiese geben Krafts spielnahem Training Recht.
Damit er selbst körperlich fit bleibt und mit den Spielern mithalten kann, legt Kraft großen Wert auf eine gesunde Lebensführung und Ernährung.

„Ich war schon immer diszipliniert, wenn nicht sogar verbissen.“

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www.profitorwarttraining.de

Text: Edith Billigmann; Fotos: Christof Henninger; ©Michael Kraft; ©picturepoeple-frankfurt