Kunst sieht nicht immer hübsch aus


Und: warum Kunst ein Gespräch ist, das nicht langweilig sein darf

Elmar Hermann ist fasziniert von Kommunikation: „Warum verstehen wir einander?“, fragt er und antwortet gleich darauf: „Wir wollen den anderen verstehen. Das ist die Basis aller Kommunikation“. All die verschiedenen Facetten von Verständigung, versucht der Neuwieder Künstler in seinen Werken auszuloten. Vielleicht ist das ein Grund dafür, warum ein Gespräch mit ihm nie langweilig wird….

Und zuerst erzählt er, wie es ihm erging, als der 44-Jährige 2020 in seine Heimat zurückkehrte. Nachdem er in Düsseldorf, New York, Istanbul, Los Angeles, Köln und Mumbai Station gemacht hatte, sah es für einen kurzen Moment so aus, als wären die Perspektiven denkbar schlecht – die Coronapandemie und der Standort Neuwied hätten so manchen Kunstschaffenden ausgebremst. Nicht so Elmar Hermann, der die Chancen, die sich hier boten, erkannte. „Es war nicht unbedingt mein Traum, nach Neuwied zurückzukehren, aber es hat plötzlich überraschende Momente und Möglichkeiten offenbart.“

Neuwied als großes Kunstprojekt

Ein Glücksfall war der Kontakt zur Firma ASAS, die nun ihren Sitz auf dem ehemaligen Rasselstein-Gelände in Neuwied hat. Hier hat Elmar Hermann Atelierräume bezogen und auch schon mit einer Gruppe von Künstlern eine Ausstellung organisiert, die für den Standort überraschend erfolgreich war. Ein Grund mehr für den Künstler auszuloten, was sich an weiteren Möglichkeiten eröffnet. Bald war die Idee für einen Kunstverein geboren, mit Sitz auf dem großen Gelände, das Platz bieten wird für einen Atelierbereich, Ausstellungsflächen und vieles mehr. Die Bedingungen sind so gut, dass Hermann sicher ist, dass dies auch überregionale, sogar internationale Künstler anlocken wird.

Ein Erfolg des kommunikativen Netzwerkes Elmar Hermann, der sich aber nun wieder mehr auf die Kunst konzentrieren will. Doch was ist das eigentlich – Kunst? „Kunst ist eine Praxis, eine Handlung und kein Ding an der Wand“, erklärt Hermann. „In den USA pflegt man einen ganz anderen Kunstbegriff: Das Konzept „art“ wird viel pragmatischer eingesetzt, nicht verbunden mit einem übertriebenen Anspruch auf reine Hochkultur. Deshalb war Amerika als Station seines Lebenswegs ein besonderer Wunsch von ihm. „Kunst wird immer auch vom Betrachter gemacht – es ist ein Gemeinschaftsprojekt“. Der Kunstschaffende arbeitet meist installativ in Räumen, versteht auch die Anordnung der Werke im Raum als Kommunikationssituation: Wie werden Dinge wahrgenommen, wo stehen sie, was sieht der Betrachter als erstes, wenn er einen Raum betritt, was steht wo? „Kunst ist Kommunikation und niemand will ein langweiliges Gespräch führen.“

Zwischenräume sind Möglichkeitsräume

Nicht umsonst hat er neben dem Kunststudium Philosophie und Linguistik studiert. „Von der Kommunikation geht für mich eine gewisse Faszination aus. Vor allem die Beziehung zwischen Eltern und ihren Kindern hat es mir angetan. Denn die bietet viel Raum für Interpretation und Missverständnisse.“ Vor allem nach der Geburt seiner ersten Tochter begann er damit, sich dieser Beziehung zu widmen. Verbunden mit seiner Leidenschaft für gut gemachte Horrorfilme entstand eine neue Schaffensreihe. „In diesen Filmen ist die Beziehung zwischen Eltern und ihren Kindern oft total eigenartig und ganz besonders. Auch das Abstrakte am Medium Film kommt mir bei der Entwicklung der Werke entgegen“. Doch wir wird daraus ein bildnerisches Kunstwerk? Aus Filmszenen, in denen sich Elternteil und Kind im Profil gegenüberstehen, nimmt der Raum, der zwischen den beiden Köpfen existiert, die entscheidende Rolle ein. Mithilfe eines computeranimierten 3D-Programms erfolgt eine skulpturale Umsetzung dieses Raumes. Aus dieser Vorlage wird die eigentliche Skulptur gefertigt: „Die Zwischenräume sind ein Möglichkeitsraum. Dort wird es spannend, wenn zwei Menschen sich begegnen, denn es sind nicht nur Worte, es ist eine Form spezieller Energie, die wirkt.“ Die erste Zwischenraumskulptur war im Jahr 2015 eine Szene aus dem Film „Carrie“. Die Jüngste steht im Neuwieder Jugendtheater und zeigt eine Szene aus der Neuwieder Inszenierung von Schillers Don Carlos.

Der Düsseldorfer Meisterschüler und Sprachwissenschaftler stellt dabei klar: „Künstler zu sein, ist nichts romantisches, sondern Arbeit. Kunst machen heißt oft, Entscheidungen treffen – als allererste die, Künstler zu sein. Und das bedeutet, es professionell zu erlernen.“ Die Grundfrage, die in der Kunst gestellt werde heißt: Warum ist das relevant? Damit steht auch fest: „Kunst sieht nicht immer hübsch aus“.

Kultur ist nichts Kompliziertes

Hermann möchte sein Wissen um die Kunst gerne an junge Menschen weitergeben. Deshalb übernimmt er immer wieder Gastprofessuren an Kunsthochschulen in Mainz, Leipzig, Düsseldorf. Darüber hinaus lehrt er am Institut für künstlerische Keramik und Glas in Höhr-Grenzhausen. In Neuwied unterrichtet er zum ersten Mal auch Schüler und Schülerinnen am Rhein-Wied-Gymnasium und erfährt aktuell im Unterricht von ukrainischen Flüchtlingskindern wieder eine andere Form von Kommunikation durch Kunst. Kunstvermittlung ist zu einer Leidenschaft, einem Kernthema geworden – vor allem für Kinder: „Kinder wollen kreativ sein und sollen auf Menschen treffen, die ihnen das ermöglichen und vor allem auch selbst kreativ sind.“ Diese Dynamik will Hermann in seinem Unterricht aufgreifen und die Kinder da abholen, wo sie stehen. „In der Schule gebe ich volle Power, möchte mitreißen und auch etwas verändern: Erwachsenwerden bedeutet nicht nur ernst werden!“ Kultur sei nichts Kompliziertes, das möchte er vermitteln – als Lehrer, Künstler und als Initiator des Neuen Kunstverein Mittelrhein.

Text: Karin Adelfang/ Fotos: Holger Bernert, privat, VG Bild-Kunst, Karin Adelfang