Bücherei Nister


Zwischen den Seiten in neue Welten eintauchen
Eine kleine Bücherei wird für alle zum Herzensprojekt

Ein knackender Buchrücken, das leise Knistern, wenn die Hand über die Seiten eines Buches streicht. Der Duft von Papier und Tinte liegt in der Luft und führt einen zu Geschichten, die darauf warten, entdeckt zu werden und in neue Welten zu entführen. Lesen bedeutet Eintauchen – in Abenteuer, Gedanken und Träume.

Doch nicht jeder hat Zugang zu dieser magischen Welt oder braucht vielleicht einen Schubs in die richtige Richtung. Genau hier setzt eine kleine, aber besondere Initiative an: die Leihbücherei in Nister – mitten in der Nachbarschaft. Seit Januar können hier endlich wieder Bücher wandern – von Hand zu Hand, von Kopf zu Kopf. Es ist ein Ort des Austauschs, der Fantasie und der Begegnung.

Schon immer ein Herzensprojekt

In einem alten Klassenzimmer der früheren Grundschule fing vor vielen Jahren alles mit einem Bücherschrank an, aus dem sich die Schülerschaft Werke ausleihen konnte – sofern er geöffnet war. Die Idee, in dem mittlerweile ehemaligen Klassenzimmer eine richtige Bücherei einzurichten, hatten Joachim Dell und Gerd-Peter Becker schließlich 1981 und sie konnten ihr Konzept ein Jahr später umsetzen.

1993 übernahm Juliane Vetter die Bücherei und steckte viel Zeit und Energie in diese Aufgabe, die ihr sehr am Herzen lag. Noch heute begleiten einen im Flur die Figuren aus dem Dschungelbuch oder die des Illustrators und Schriftstellers Janosch, die sie mit viel Liebe zum Detail selbst an die Wände gemalt hat. Unterstützt wurde sie beim Führen der Bücherei unter anderem von ihrer Familie – und auch ihre Tochter Jana war schon damals ein Teil davon. „Es gab Leseabende für Kinder, da war ich auch immer mit dabei. Ich verbinde wirklich ganz viele Kindheitserinnerungen mit diesem Ort“, erinnert sich die heute 36-Jährige.

Jana Vetter kommt aus einer Lesefamilie, ist von klein auf von Büchern umgeben. „Bei mir war es ganz klar, dass ich Leser werde. Mein Papa hatte tausende Bücher. Der konnte auch nichts wegschmeißen. Das heißt: Es war ein Haus voller Bücher. Da ging es nicht nur um Inhalte, sondern da wurde auch an Büchern gerochen oder der schöne Einband bewundert. Das ist Kunst. Bücher sind eine Kunstform und einfach schön!“ Da ist es nicht verwunderlich, dass, obwohl ihre Mutter damals die treibende Kraft ist, die ganze Familie mit anpackt.
Als Juliane Vetter das Amt der Bürgermeisterin übernimmt, wird es um die Bücherei jedoch nach und nach immer ruhiger und nach ihrem Tod 2018 wird der Betrieb komplett eingestellt. Ein Umstand, der Jana, vor allem während der Corona-Zeit, in der alles heruntergefahren werden muss und es an allen Ecken und Enden an Austausch und Gemeinschaft mangelt, gar nicht gefällt.

Aus der Vergangenheit in die Zukunft**Fetter Text**

Sie spricht mit dem damaligen Bürgermeister Thomas Giehl, erhält von ihm einen Brief des Landesbibliothekszentrums (LBZ) und lässt sich auf ein Wochenendseminar ein, wo alle ehrenamtlichen Büchereimitarbeiter zusammenkommen. Hier lernt sie Monika Soine vom LBZ kennen, die sowohl ihre Mutter als auch Gerd-Peter Becker bereits kannte, und schließlich Jana bei dem Wiederaufbau der Bücherei unterstützt. Denn die 36-Jährige entscheidet sich dazu, gemeinsam mit ihrer Schwester Sina Kalenbach und ihren Freundinnen Thea Hofmann und Anna Langewiesche, das Herzensprojekt ihrer Mutter fortzuführen. Auch die Unterstützung von Sascha Kurz und Silke Rabe ist ihnen von Anfang an sicher und seit der Eröffnung komplettieren Kerstin und Laura Orthey das Team.

Der Raum braucht dringend eine Renovierung, der Buchbestand – „Hier ist nie ein Buch weggeworfen worden!“ – muss gefühlt generalüberholt werden. „Ich kann Bücher nicht gut wegschmeißen, aber ich wollte nicht nur mit Büchern eröffnen, die 20 Jahre und älter sind. Und dann fängst du an auszusortieren, und irgendwann kannst du das dann“, erinnert sich die Grundschullehrerin und schmunzelt: „Ich war mit dem Anhänger drei oder vier Mal beim Wertstoffhof Metzler. Da kann man Papier umsonst entsorgen. Bücher brennen nämlich nicht so gut, wie man denkt. Ich nehme an, die denken jetzt, ich bin Bildungshasser.“

Hilfe bekommt das Team, unter anderem von den„Junge Baachwätz“ – eine Truppe älterer Herren, die zusammen Fahrrad fahren und es sich zur Aufgabe gemacht haben, die Ortsgemeinde gemeinnützig zu unterstützen. Und überhaupt könne sie immer auf Unterstützung aus dem Dorf zählen. Weitere Teammitglieder seien ebenfalls dazugestoßen – alle mit starkem Bezug zum Ort und natürlich zu Büchern. „Jeder liest. Das ist, glaube ich, essenziell. So kann man dafür brennen und das auch irgendwie vermitteln und rüberbringen“, freut sich Jana. Ein großer Vorteil sei es auch, dass alle unterschiedliche Genres mögen. So kann jeder bei der Auswahl der neuen Bücher seine Vorlieben einbringen und somit für abwechslungsreichen Lesestoff für alle Altersgruppen in der Bücherei sorgen.

Natürlich spielen bei so einem Projekt auch Fördermittel eine große Rolle. Um sich dafür zu qualifizieren, hat Jana ein Jahr lang sämtliche Fortbildungen gemacht. Am Ende hat es sich gelohnt, denn wenn man bei Kosten von 11.000 Euro eine Förderung von etwa 90% erhält, macht das Einkaufen und Einrichten doch gleich doppelt Spaß. „Ich mache das so, damit ich einen Raum habe, in dem ganz viele Bücher stehen, die jemand anderes bezahlt hat“, scherzt die Buchliebhaberin.

Weg vom Bildschirm, rein ins Lesevergnügen

Mit der Neueröffnung der Bücherei setzen Jana und ihr Team auch ein wichtiges Zeichen, denn in einer Welt, in der gefühlt alles nur noch über Bildschirme läuft, treten Bücher immer mehr in den Hintergrund. „Ich konzentriere mich gerne auf Bücher, weil Lesen natürlich Grundkompetenz für alle weiteren Wissenserwerbsmöglichkeiten ist. Lesen ist Neigungssache, Lesen ist anstrengend. Wenn ich das nicht auch sozialisiert bekomme, wenn meine Eltern nie vor meiner Nase gesessen und gelesen hätten, dann hätte ich da keinen Vorbezug“, so Jana.

Und natürlich sei das Ganze auch oft ein Zeitproblem, sie kenne die Aussage, dass es bei vielen Menschen nur im Urlaub klappt. „Aber dann sagt jeder ‚Oh, das war wunderschön. Ich war nochmal richtig tief dran.‘ Also, ich bin bei einem Instagram-Reel nicht emotional involviert. Aber das Lesen passiert ja in mir. Ich lebe da ja mit.“ Natürlich greife sie auch mal zum Handy, aber merke dann oft, dass der viele Output in den sozialen Netzwerken sie gar nicht wirklich interessiert. „Ich denke mir oft, oh Gott, was würde mir fehlen, wenn ich nicht lesen würde? Welche Ideen, Gedanken, Tagträume würde ich verpassen? Ich kriege mich selbst doch gar nicht so angeregt, so zum Lachen, Heulen, auf Ideen gebracht.“

Mehr als Bücher: Ein Treffpunkt für die Gemeinschaft

Mit der Neueröffnung der Bücherei wurde ein Ort geschaffen, an dem Menschen aller Generationen zusammenkommen und sich austauschen können. „Ich glaube, das macht eine Leihbücherei auch ein bisschen aus. Du kommst ins Gespräch, kannst alles mal ausprobieren und musst es nicht kaufen“, sagt Jana, die natürlich noch ganz viel vor hat. Gerne würde sie auch eine Tauschbörse für alle möglichen Sachen wie Rezepte oder Saatgut integrieren, plant Events wie „Meet & Read“, wo alle bei einem Gläschen Wein ihr Lieblingsbuch vorstellen und auch Kinderaktionen, von denen sie selbst als junger Mensch geprägt wurde. „Natürlich konkurrieren wir zum Beispiel mit Streamingdiensten. Aber es wird schon gut angenommen“, freut sie sich.

Die Bücherei ist immer dienstags und donnerstags von 17 bis 19 Uhr geöffnet und lädt alle dazu ein, in andere Welten einzutauchen und sich inspirieren zu lassen. Hier merkt man einfach in allen Ecken, was Janas Eltern schon früh in ihr entfacht haben: die Liebe zu Büchern, zu Menschen und zu dem Ort, in dem sie aufgewachsen ist. Und eins ist sicher: Sie wären sicherlich sehr stolz darauf, was ihre Töchter und die vielen Menschen aus Nister hier geschaffen haben.

KONTAKT

Bücherei Nister
Schulstraße 6
57645 Nister
Geöffnet: Dienstag & Donnerstag, 17-19 Uhr
Instagram: @buecherei_nister

Text: Jacqueline Schlechtriem I Fotos: Schlechtriem, stock.adobe.com