Citerart


Von der Spraydose zum Meisterwerk
Steffen Tschuck zeigt Graffitikunst auf höchstem Niveau

Hässliche Schmierereien an Hauswänden, vermummte Typen, die mit tief ins Gesicht gezogener Kapuze nachts herumschleichen und fremdes Eigentum beschädigen. Das ist das, was viele mit Graffiti verbinden: Vandalismus, Illegalität und Kriminalität. Das Image dieser Kunstform ist – noch immer – schlecht.

MEHR ALS NUR ILLEGALE SCHMIEREREI
Doch bei Graffiti bedeutet Illegalität nicht automatisch Boshaftigkeit, Zerstörungswut oder sinnlose Kritzeleien. Auch hinter illegalen Werken stecken talentierte Künstler, denen es – wider Erwarten – nicht nur um Nervenkitzel, sondern vor allem um Freiheit und Meinungsäußerung geht.

Ein bekanntes Beispiel ist der Streetart-Künstler Banksy, dessen Identität bis heute unbekannt ist. Seine Werke zeichnen sich durch gesellschaftskritisch-provokante Motive aus, die an gut sichtbaren, stark frequentierten und aufmerksamkeitsstarken Flächen platziert sind. Eine offizielle Genehmigung dafür würde es wohl kaum geben. Dennoch wird Banksy gefeiert: Seine illegale Kunst hat Kultstatus und erzielt Millionenwerte.

Die Illegalität verschafft vielen Künstlern die Möglichkeit, sich kritisch auszudrücken und ihre Kunst zu präsentieren, ohne selbst im Vordergrund zu stehen. So erzielen sie maximale Aufmerksamkeit – für ihre Werke, nicht für sich. Graffiti ist eine Subkultur und eine Kunstform, die sowohl auf legaler als auch auf illegaler Ebene existiert. In beiden Fällen entsteht hochwertige Kunst, die sich – abgesehen von Größe und Material – nicht von anderer Malerei unterscheidet.

IMAGEWANDEL DURCH AUFKLÄRUNG
Viele Graffitikünstler, wie auch der legal arbeitende 28-jährige Steffen Tschuck, stellen dies tagtäglich unter Beweis. Doch ein Großteil der Gesellschaft sieht das noch nicht. „Graffiti ist noch sehr vorurteilsbehaftet und man stößt immer wieder auf verschlossene Türen“, schildert der gebürtige Koblenzer. „Viele haben nach wie vor ein völlig falsches Bild von Graffiti und verbinden damit keine seriöse Kunst.“ Es fehle vor allem an Aufklärungsarbeit – nicht nur in der Gesellschaft, sondern auch bei den Künstlern selbst. Deswegen gibt Steffen regelmäßig Workshops in Jugendeinrichtungen und Jugendclubs. „Ich verstehe, dass es den Leuten einen gewissen Kick gibt, wenn sie illegal unterwegs sind“, erklärt er. „Aber ich hoffe, dass sie den legalen Weg einschlagen und ihr Talent nutzen.“

In jeder größeren Stadt gibt es sogenannte „Halls of Fame“, offizielle Wandflächen, an denen jeder Graffitikünstler arbeiten darf, ohne sich strafbar zu machen. „Es gibt legale Flächen, nutzt diese!“, appelliert er immer wieder an die jungen Menschen und bietet ihnen sowohl bei praktischen als auch bei theoretischen Fragen seine Unterstützung an.

VOM HOBBY ZUM BERUF
Auch Steffen beginnt bereits als Teenager mit Graffitimalerei. Mit gerade einmal 14 Jahren hält er seine erste Spraydose in der Hand. Schuld ist ein Familienurlaub mit seinen Eltern in San Francisco, bei dem er Streetart-Künstlern bei der Arbeit zusieht. „Es war sofort um mich geschehen“, erzählt Steffen schmunzelnd. Nicht nur die Ergebnisse faszinieren ihn, sondern auch die Art und Weise, wie es den Künstlern gelingt, großflächige und beeindruckende Bilder mit Sprühdosen zu erschaffen.

Kaum aus dem Urlaub zurück, greift er selbst zur Dose und ist ab diesem Moment nicht mehr zu bremsen. Seine Eltern reagieren unerwartet positiv und stellen ihm eine eigene Hauswand zum Üben zur Verfügung. Selbst Bekannte lassen ihn am eigenen Haus experimentieren. Für eine Projektwoche an seiner Schule bietet er einen Graffiti-Workshop an und darf eine Wand in der Schule gestalten. Ungewöhnlich viel Aufgeschlossenheit gegenüber einer mit viel Skepsis bedachten Freizeitbeschäftigung. Steffen ist heute noch erstaunt darüber, wie viel Zuspruch er damals bekommt, obwohl das Image damals noch schlechter ist als heute.

Noch während seiner Schulzeit meldet er ein Nebengewerbe an, gründet 2015 sein Unternehmen „Citerart“ und übernimmt zunächst kleinere Aufträge wie die Gestaltung von Kinderzimmern oder Garagentoren. Dass er irgendwann von Graffitikunst leben kann, hat er zu diesem Zeitpunkt nicht für möglich gehalten und studiert nach dem Abitur Kommunikationsdesign. „Graffiti war für mich ein Hobby, ein Nebenverdienst. Mir war allerdings klar, dass ich beruflich unbedingt etwas Kreatives machen möchte, deswegen entschied ich mich für das Studium.“

Doch seine Arbeiten und deren Qualität sprechen sich in der Region schnell herum und er bekommt mehr und mehr Aufträge. „Ich musste nie aktiv Werbung machen“, schildert er. „Jedes Graffiti im öffentlichen Raum ist für mich automatisch eine Werbefläche.“ Parallel zu seinem Studium baut er sein Unternehmen weiter auf, befasst sich konkret mit dem Thema Selbstständigkeit. So wird aus einem Hobby plötzlich unerwartet ein Beruf. „Ich lebe von Graffiti“, sagt er und klingt dabei selbst überrascht. „Das ist für mich immer noch völlig surreal und ich bin wirklich dankbar dafür.“

HANDWERK ALS PERFEKTE ERGÄNZUNG
Das Studium und die Graffitiarbeiten allein reichen ihm jedoch nicht. 2024 macht er seinen Maler- und Lackierermeister und gründet einen eigenen Handwerksbetrieb. Eine Ausbildung, die seine Arbeit abrundet. Durch das fachliche und handwerkliche Know-how kann Steffen die notwendigen Vorarbeiten für eine Fassadengestaltung selbst übernehmen und gewährleisten, dass die maximale Haltbarkeit seiner Arbeiten erreicht wird. Die Arbeit als Maler und Lackierer hat für ihn noch einen weiteren positiven Aspekt: „Kreatives Schaffen und Handwerk ist eine gute Mischung und bringt Abwechslung in den Arbeitsalltag. Die handwerkliche Arbeit bringt außerdem einen schönen Ausgleich zur Kreativität, denn zwölf Monate im Jahr ausschließlich kreativ zu arbeiten, kann sehr anstrengend sein.“

Aktuell arbeitet er mit drei Subunternehmern zusammen. Sein Handwerksbetrieb ist im Aufbau und er plant die Einstellung von Mitarbeitern und Azubis. „Ich betitele mich lieber als Kunsthandwerker und nicht als Künstler“, sagt er. Darüber hinaus ist er freier Dozent für die Handwerkskammer und unterrichtet die Meisterschüler des Maler- und Lackiererberufs.

VIELSCHICHTIGE UND AUSDRUCKSSTARKE KUNSTFORM
„Graffiti ist ein vielschichtiges Medium mit unendlich vielen Gestaltungs- und Einsatzmöglichkeiten“, sagt er. So sind auch Steffens Arbeiten vielseitig, reichen von Werbeflächen bis zu privaten Wandgestaltungen und sogar Autos. Er arbeitet deutschlandweit. Aufträge bekommt er sowohl von Privatpersonen als auch von Geschäftsinhabern oder Kooperationspartnern wie Architekten und Ingenieuren. Auch Kommunen, Vereine oder Städte gehören zu seinen Auftraggebern. So hat er beispielsweise in Koblenz triste, graue Stromkästen in absolute Hingucker verwandelt.

Steffen vermittelt mit seiner Kunst unterschiedlichste Inhalte und setzt Themen auf kreative und auch fantasievolle Weise um. Seine realistischen Darstellungen sind täuschend echt. Die Meise auf einem Stromkasten lässt sich nur durch ihre Größe von einem echten Vogel unterscheiden. Die Gartenlandschaft auf einer Hauswand macht diese geradezu unsichtbar und lässt sie mit ihrer Umgebung völlig verschmelzen.

Dass allein mit Sprühdosen so detailreiche und anspruchsvolle Bilder entstehen können, ist kaum vorstellbar. Doch tatsächlich arbeitet Steffen ausschließlich mit Dosen, nutzt weder Pinsel noch Schablonen. „Eigentlich ist es gar nicht so schwer, wie es aussieht, sondern etwas, das man lernen kann“, erklärt er ganz selbstverständlich. „Wenn man weiß, wie es geht, die richtige Technik, genügend Übung und Erfahrung hat, kann das theoretisch jeder.“ Wenn man seine Arbeiten sieht, mag man diesen bescheidenen Worten des Künstlers kaum glauben.

DIE ENTWICKLUNG IST NIE ABGESCHLOSSEN
Die größte Herausforderung liegt für ihn darin, den eigenen Perfektionismus zu kontrollieren. „Selbst wenn ein Auftrag abgeschlossen ist, fällt mir im Nachhinein immer noch etwas auf, das ich hätte anders oder besser machen können.“ So entwickelt sich Steffen kontinuierlich weiter. „Wenn ich meine Arbeiten von damals mit denen von heute vergleiche, könnte ich die Hände über dem Kopf zusammenschlagen“, sagt er lachend. Durch die unterschiedlichen Projekte, die sich nicht nur durch das Motiv, sondern auch durch die Größe, Untergründe und andere Bedingungen unterscheiden, lernt er immer dazu.

Auch sein Stil entwickelt sich stets weiter. „Die wechselnden Aufgaben und unterschiedlichen Vorstellungen von Kunden erfordern immer neue Herangehensweisen und das Denken in anderen Dimensionen.“ Besuche im Ausland inspirieren ihn ebenfalls: „Jedes Land und jede Kultur haben ihren ganz eigenen Stil. Die internationalen Unterschiede sind wirklich spannend. Gerade in Lateinamerika sind die Bildmotive, aber vor allem auch die Einstellung Graffiti gegenüber, ganz anders als hier. Die Leute sind aufgeschlossener.“

Der sympathische Künstler wird der Graffitikunst jedoch auch in unserer Gesellschaft wesentlich zu einer positiveren Wahrnehmung und größerer Akzeptanz verhelfen. Seine Gemälde sprechen schließlich für sich.

Einen ganz besonderen Traum hat er noch. „Ich würde wahnsinnig gerne in Österreich oder in der Schweiz eine Berghütte gestalten. Allein die Vorstellung, im Umfeld einer Bergkulisse zu arbeiten, ist unglaublich.“ Unrealistisch ist dieser Traum bei weitem nicht und wir können gespannt sein, wann und wo er ihn umsetzen wird.

KONTAKT
CITERART CONCEPT & COLOR
Inh. Steffen Tschuck
Beckenkampstraße 20
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www.citerart.de

Text: Jasmin Rumpf I Fotos: Tino Balle, privat