Dirigent Thomas Jung


Vom Limburger Klassenzimmer in die Konzertsäle der Welt

Mit 17 Jahren hatte sich für Thomas Jung aus Dietkirchen ein Traum erfüllt: Der Tilemannschüler war einer von 20 hochbegabten deutschen Nachwuchsmusikern, die eingeladen waren, in einem Workshop mit den renommierten Musikern der sächsischen Staatskapelle in Dresden zu musizieren und den Spielbetrieb der Semperoper fünf Tage lang hautnah zu verfolgen. Am 13., 14. und 17. Dezember steht Thomas Jung nun selbst am Pult der Semperoper Dresden und dirigiert die Staatskapelle zur Aufführung des Märchenballetts „Der Nussknacker“ von Tschaikowsky.

Karriere mit Taktgefühl: Vom Schüler zum gefragten Dirigenten
Der Weg dorthin begann früh und konsequent. Geboren und aufgewachsen in Dietkirchen, zeigte Thomas Jung bereits in jungen Jahren außergewöhnliches musikalisches Talent. Mit dem Schlagzeugensemble „Tintinnabula“ der Limburger Kreismusikschule unter der Leitung von Michael Born gewann er im Alter von 15 Jahren den Bundeswettbewerb „Jugend musiziert“. Früh gefördert vom KMS-Orchesterleiter Günter Dedy machte sich Jung bald einen Namen – nicht nur als Schlagzeuger, sondern vor allem als Dirigent.

Nach dem Abitur 2004 an der Tilemannschule führte der Weg ihn an die Hochschule für Musik in Köln, später ans King’s College der University of Cambridge. Er war Stipendiat der Studienstiftung des Deutschen Volkes und erhielt Stipendien der Limburger Stiftung DEY und der Musikstiftung der Kreissparkasse Limburg, deren Fachbeirat er heute angehört. Geprägt wurde er insbesondere durch seinen Professor Volker Wangenheim sowie durch Meisterkurse bei dem legendären Maestro Bernard Haitink, der Thomas Jung im Rahmen des Lucerne Festivals für seine Mozart-Interpretationen lobte, ihn zu seinem Assistenten machte und zu namhaften Klangkörpern wie dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, dem Chamber Orchestra Europe und den Berliner Philharmonikern mitnahm.

Seine Ernennung zum Constant Lambert Conducting Fellow (Dirigentenstipendiat) führte Thomas Jung an das Royal Opera House Convent Garden in London. Seitdem ist der Dirigent mit dem englischen Musikleben verbunden und wurde 2025 zum Principal Guest Conductor (Hauptgastdirigent) des Birmingham Royal Ballet ernannt. Seine Vielseitigkeit spiegelt sich in seinem Repertoire wie in seinen Engagements wider. Er dirigierte und dirigiert Orchester wie die Bamberger Symphoniker, die Dresdner Philharmonie, das SWR-Sinfonieorchester, das Royal Liverpool Philharmonic Orchestra, das Mantua Chamber Orchestra, das Lucerne Festival Orchestra und das Gstaad Festival Orchestra. Auch in den Niederlanden, den USA und China ist Thomas Jung regelmäßiger Gast.

Experimentierfreude trifft Klangkunst
In all den Jahren hat der jetzt 40-Jährige den Bezug zu seinem Heimatort nie verloren, wo er sich jüngst ein Studio für seine umfangreiche Fachbibliothek und zahlreichen Partituren eingerichtet hat. Dort arbeitet er auch an zeitgenössischen Projekten und scheut Experimente nicht. Davon zeugen seine bereits verwirklichten Projekte. Als Beispiel sei eine gemeinsam mit dem Künstler Samson Young vielbeachtete Klanginstallation für die Sydney Biennale 2018 genannt, die international mit Preisen ausgezeichnet und jüngst vom Britischen Museum Tate Modern erworben wurde. 2019 dirigierte er die Uraufführung von Gabriel Prokofievs „Sense of Time“, 2022 Mikael Karlssons „Hotel“. Im Sadler’s Wells Theatre in London war er Dirigent der gefeierten Jubiläumsproduktion von Matthew Bournes Schwanensee.

Doch der Fokus seiner Arbeit bleibt auf der klassischen Symphonik. So spielte er 2024 mit den Bamberger Symphonikern die Zweite Sinfonie von Marcel Tyberg ein – ein Werk des lange vergessenen Komponisten, der 1944 in Auschwitz ermordet wurde. Dazu kommt ein Lehrauftrag an der Uni Hamburg für ein Kooperationsprojekt mit der dortigen Kunsthalle und der Musikhochschule.

Auszeichnungen und Anerkennung
Für seine künstlerische Arbeit wurde Thomas Jung mehrfach ausgezeichnet. 2012 erhielt er den Kulturpreis der Stiftung Filippas Engel, 2017 den Eugen-Jochum-Preis, 2020 schließlich gewann er den zweiten Preis beim Internationalen Gustav Mahler Dirigentenwettbewerb unter 336 Bewerberinnen und Bewerbern aus 54 Nationen.

Tschaikowskys Nussknacker in der Royal Albert Hall
Die laufende Spielzeit ist für Thomas Jung erneut intensiv und international: Im September dirigierte er in Amsterdam zehn Mal Beethovens Symphonie Nr. 7 sowie eine Weltpremiere. Im Oktober steht er unter anderem in Aschaffenburg am Pult, wo Werke von Rachmaninoff, Dvorák und erneut eine Uraufführung auf dem Spielplan stehen. Anschließend folgen Konzerte in Birmingham, London, Manchester und weiteren Städten im Vereinigten Königreich. Zum Jahreswechsel wird er in der weltberühmten Royal Albert Hall in London zu erleben sein – erneut mit Tschaikowskys „Nussknacker“.

Die Pathologie wird zur Kunst und zur Musik
– Glosse von Dieter Fluck –
Als der aus Dietkirchen stammende Dirigent Thomas Jung am letzten Tag der Woche sein Orchesterprojekt in Bamberg beendet hatte, genehmigte er sich eine Auszeit in einem dortigen Brauhaus. Als alle Plätze besetzt waren, gesellte sich ein Unbekannter an seinen Tisch und wie das oftmals so ist, ergab sich ein anregendes Gespräch. Schließlich outete sich der Fremde als Prof. Dr. Veit Krenn, ein in Philadelphia geborener deutscher Pathologe und bildender Künstler, Sohn des bekannten Wiener Künstlers Hans Krenn.

Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm, könnte man folgern; denn besagter Tischnachbar, Facharzt und Geschäftsführer eines pathologischen Instituts in Trier, zeichnet sich auch dadurch aus, dass er zeichnet, was er unter dem Mikroskop sieht. Wenn er zum Beispiel feststellt, dass sich ein Tumor zurückbildet oder ganz verschwindet, macht er daraus Kunst. Aus mikrobiologischen Befunden hat er dank moderner 3D-Druckverfahren Reliefs hergestellt und diese farbig gestaltet.

Musiker Thomas Jung war davon so begeistert, dass er die Kunsterzeugnisse seiner medizinischen Zufallsbekanntschaft als Grundlage für eine neue musikalische Variante verwendete. Er hat eine künstlerische 3D-Platte auf seine Weise vertont – und wird sie zum Klingen bringen. Mussorgskys „Bilder einer Ausstellung“ lassen grüßen. Der Dietkirchener hat das Werk im Oktober in Aschaffenburg uraufgeführt. Hier schließt sich der Kreis zum Vater des Pathologie-Professors. Dieser zählte künstlerisch zum Umfeld der Wiener Schule des Phantastischen Realismus – eines Stils, der nichts anderes bedeutet, als eine neue Wirklichkeit zu erschaffen.

Text: Dieter Fluck I Fotos: Dieter Fluck, The Finest Light, René Knoop, privat