Seit 333 Jahren Backalarm in der Innenstadt


Ingmar Hensler – der Mann mit den vielen Gesichtern: Ein Kunstbäcker und Informatiker erzählt über die Liebe zum Schreiben, zur Fotografie und vor allem zum Handwerk

In Ingmar Henslers Brust schlagen viele Herzen. Da ist der Feingeist, der tiefsinnige Kurzgeschichten schreibt, in seinen Büchern Science Fiction zum Leben erweckt und mit seinem Erotikroman den Bestseller „50 Shades of Grey“ ziemlich blass aussehen lässt. Da ist der Heimwerker, der stabile Regale für bis zu 40 Brote zusammenzimmert, und der Mann hinter der Kamera, mit dem Finger immer am Drücker, um Momente mit dem gewissen Etwas einzufangen – natürlich in Schwarz-Weiß. Hauptsächlich verdient der umtriebige Limburger sein Brot aber anders: als Bäcker in der alteingesessenen Kunstbäckerei Hensler.

Seit 333 Jahren wird in der Kolpingstraße 1 gebacken – offiziell auch nachzulesen im Limburger Stadtarchiv. Ein Jubiläum, das Ingmar mit Aktionen aufs ganze Jahr verteilt hat. In 11 Jahren steht der nächste Event an. Das Haus, um 1530 erbaut, wird dann 500 Jahre alt. „Wieder ein Grund zu feiern“, sagt Ingmar augenzwinkernd. Und wieder ein Grund, sich etwas ganz Besonderes an kunstvollen Backfiguren einfallen zu lassen.

„ Die Hälfte kannst Du ohnehin schon, da kann es ja so schwer nicht sein. “

Dass Bäcker sein Traumberuf ist, daraus macht er keinen Hehl. Dass er da irgendwie und ohne richtigen Plan reingeraten ist, auch nicht. In Ingmars Leben gibt es keinen Plan B – und einen Plan A erst recht nicht. „Eigentlich gibt es gar keinen Plan“, kommentiert er. „Es hat sich einfach so ergeben.“ „Einfach so“ will erklärt werden, denn der Typ mit den langen, schwarzen Haaren hat mit seinen 45 Jahren eine beispiellose und untypische Karriere hingelegt.

Dass Ingmar die Bäckerei seines Vaters übernehmen sollte, war in dessen Lebensplanung nicht vorgesehen. „Meine Eltern haben mir eher Steine in den Weg gelegt. Sie wollten, dass ich mal was Besseres werde“, erzählt er. Also macht er Abitur und schreibt sich als High Tech-Begeisterter fürs Informatik-Studium ein. Parallel dazu beginnt er im elterlichen Betrieb eine Bäckerlehre. „Ich dachte mir: Die Hälfte kannst Du ohnehin schon, da kann es ja so schwer nicht sein.“ Die ersten beiden Ausbildungsjahre legt er zusammen, damit es noch ein wenig schneller geht.

Sein Tag ist ziemlich genau getaktet. Von der nächtlichen Arbeit in der Limburger Bäckerei geht‘s zur ersten Vorlesung (Beginn 8 Uhr) nach Frankfurt, anschließend zur Berufsschule. Mittlerweile hat er auch das Grundstudium an der Uni hinter sich, im Hauptstudium wird es etwas lockerer. Für Ingmar ein großes Glück, denn von einem Tag auf den anderen muss er Vollzeit arbeiten.

Generationenwechsel

Vater Friedel hat sich beim Brotausfahren das Knie verdreht und fällt krankheitsbedingt für ein dreiviertel Jahr aus. Also steht Ingmar jeden Morgen um 3 Uhr in der Backstube, übergibt drei Stunden später an die Mutter, die die Backwaren aus dem Ofen holt, und jettet dann zur Uni, anschließend zur Berufsschule. Sein großes Prä ist sein Organisationstalent. Mit System belegt er die Bleche, wertet das Kaufverhalten aus und stimmt Backwaren und Gebäck auf die Kundenbedürfnisse ab.

Als der alte Herr nach Monaten wieder in die Backstube kommt, schickt Ingmar ihn weg. „Da war kein Platz für zwei“, sagt er. „Er passte nicht in mein Backen mit System rein, konnte auch nicht mehr mit meiner Geschwindigkeit mithalten.“ Ingmar ist der Chef, obwohl er noch keinen Meistertitel hat. Doch den holt er nach. 2005 hat er seinen Meisterbrief in der Tasche. Im gleichen Jahr macht er sein Diplom als Informatiker. Und ein weiteres Ereignis krönt das erfolgreiche Jahr: Ingmar heiratet.

Die Kunst des Backens

Gebackene Kunstwerke gab es schon bei Friedel Hensler. Sein Faible für die griechische Mythologie lebte er aber nicht nur in der Backstube aus, sondern auch an mannshohen Gipsfiguren, die er dann an die Hauswand hing, „um die bösen Geister abzuwehren“. Einige davon stehen noch im „Haus Byron“ am Bischofsplatz 9.

Ingmar führt die Tradition fort. Und bringt auch hier frischen Wind rein. Ob bei den Motiven wie den „Baum des Lebens“ (ein Meisterstück), den „stilisierten Schwan“ oder auch das „Arschtörtchen“ (heller Hefeteig & Schokolade) auf ausdrücklichen Wunsch der Kundin - der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt. „Das hier ist meine Welt“, sagt er stolz. „Hier kann ich mich komplett austoben.“ Und er kann sich gewiss sein, dass das, was er produziert, vielen anderen gefällt. Seine Lebkuchenfiguren sind europaweit einzigartig, haben es schon in die Hamburger Sonderausstellung „Lebkuchen der Welt“ geschafft, vom Papstpalast in Avignon ganz zu schweigen.

Beim Marketing ist er ohnehin gut aufgestellt. Ein Ein-Platinen-Rechner im Schaufenster präsentiert Firmenvideos und Slide-Shows mit Produktbildern aus der eigenen Kamera. Alles self-made, wie man sich denken kann. Auf Instagram und Facebook lässt er die Fangemeinde an seinen Produkten teilhaben. Gekonnt setzt er seine Backwaren in Szene und rührt dabei kräftig die Werbetrommel für die neuen Produkte. „Die Leute wollen mehr Vielfalt“, sagt er. „Wir haben mal durchgerechnet. Vor 10 Jahren lagen wir bei 144 Brotsorten.“ Einige sind noch dazugekommen. „Vom Kurzen“, wie Ingmar stolz betont.

Der „Kurze“ ist sein Sohn Gabriel, 9 Jahre, und schon so talentiert wie der Vater damals. Wenn er mal seine Nachfolge antreten möchte, hat Ingmar nichts dagegen. Auch wenn das Arbeiten „Hardcore“ ist. Denn Ingmar spielt auf Zeit. Der Ein-Mann-Betrieb muss effizient laufen, sonst rentiert er sich nicht. „Ich stehe um 4 Uhr morgens auf, bin um halb 8 fertig. Das ist Hardcore-Ranklotzen mit zwei Teigmaschinen. Im 5-Minuten-Takt werden Brot und Brötchen rausgehauen, um die Kapazität des Ofens zu nutzen“, beschreibt er seinen Bäckeralltag. Und weil Zeit Geld ist, dreht er immer wieder an neuen Schrauben und ökonomisiert so den betrieblichen Ablauf. „Blätterteig treibt nicht, Laugenteig lässt sich einfrieren.“ Mit dieser Erkenntnis produziert er auf Vorrat, nimmt sich dadurch den gewaltigen Zeitdruck, der Nacht für Nacht auf ihm lastet. Die kostbare Zeit investiert er stattdessen lieber in Qualität und lässt den Teig möglichst lange ruhen. „Weil dadurch das Gebäck aromatischer wird“, erklärt er.

Vor der Konkurrenz hat er im Übrigen keine Angst. „Hab‘ bei allen schon probiert“, sagt er selbstbewusst und stellt fest: „So schnell wird mir keiner was vorbacken.“

„ So schnell wird mir keiner was vorbacken. “

Ingmar Hensler

• geboren am 31.10.1973 in Limburg
• ist verheiratet mit Carmen, hat einen Sohn, der Gabriel heißt, aber „der Kurze“ genannt wird
• ist begeisterter Bäcker und Technikfan
• fährt gerne Doppelstrategien: hat den Meisterbrief und das Diplom für Informatik im selben Jahr gemacht
• größte Backherausforderung: 10.000 Brötchen; seitdem hat er sein Inventar um Rollwagen und Backbleche erweitert
• kauft regional ein, verzichtet auf künstliche Farb- und Zusatzstoffe, stellt den Sauerteig noch selbst her
• ist Europas bekanntester Lebkuchenbäcker, war in der ZDF-Show „Deutschlands beste Bäcker“
• schreibt „Gschichtn“, philosophische „Sichtweisen“, Science Fiction-Romane und den Erotikthriller „Die neuen Leiden des jungen Felix Krull“ (Zitat Hensler: „Dagegen ist 50 Shades of Grey pubertär“) – gibt’s als Download auf der Homepage
• fährt Mountainbike, spielt mit dem Kurzen Schach und Computergames, liebt Arbeiten mit Holz

Kontakt

Kunstbäckerei Hensler
Kolpingstraße 1 | 65549 Limburg
Telefon: 06431 - 3596
E-Mail: ingmar@baeckerei-hensler.de

Text: Edith Billigmann | Fotos: Marcel Gregory Stock