BEKENNTNISSE EINES FILOUS


Lichtgestalt, Überflieger, Knastbruder - Helge Achenbach (68) war ganz oben, dort, wo die Luft am dünnsten ist. Und er ist durch die Hölle gegangen, hat zwei Drittel seiner sechsjährigen Haftstrafe im Knast verbracht, mit dem Leben gehadert, auch an Selbstmord gedacht. Dem ungestümen Leben in der Welt der Reichen und Schönen folgte der tiefe Fall. Zu sechs Jahren und 20 Millionen Schadensersatz wurde Deutschlands seinerzeit bekanntester Kunstberater 2014 verurteilt. Babette Albrecht, Witwe des 2012 verstorbenen ALDI-Erben und Milliardärs Berthold Albrecht, hatte ihn angezeigt. Vor zwei Jahren wurde er vorzeitig aus der Haft entlassen. Nun hat er sein privates Glück gefunden. „Ich weiß zum ersten Mal, was Liebe ist“, sagt er.

Die litauische Malerin Evelina Velkaite (37) hat er auf ungewöhnliche Weise als Freigänger kennengelernt, denn selbst im Knast war er die Anlaufstelle in Fragen Kunst. Zur Selbstfindung hatte er ihr New York empfohlen. Es sollte schließlich Kaarst werden, das Anwesen, auf dem Helge Achenbach nach seiner Entlassung den Kunst- und Kulturverein „Culture without Borders“ gegründet hat - ein gemeinnütziger Verein, der Flüchtlingen die Möglichkeit zur künstlerischen Entfaltung bietet.

Das Projekt beschreibt er in seiner Autobiografie „Selbstzerstörung“. Es ist die Geschichte eines ungewöhnlichen Mannes, der es geschafft hat, geläutert wie Phönix aus der Asche wiederaufzuerstehen. Auch heute noch, zwei Jahre nach seiner Haftentlassung, wirkt er vor allem als ein Mensch mit Visionen und einer unglaublichen Energie. Gebrochen hat ihn der tiefe Fall nicht. „Ich bin dankbar, aus diesem Zirkus raus zu sein und zu mir selbst gefunden zu haben“, sagt er aus tiefster Überzeugung. Seinen Verein „Culture with-out Borders“ will er als aufrichtiges Versöhnungs-Angebot an die Gesellschaft verstanden wissen.

Helge Achenbachs Geschichte beginnt in kleinbürgerlichen Verhältnissen, die geprägt sind von problematischen intrafamiliären Strukturen. Von seiner Mutter fühlt er sich nicht wirklich geliebt und geachtet. Erschwert wird dieses Verhältnis noch dadurch, als er zufällig erfährt, dass er das Ergebnis eines außerehelichen Verhältnisses seiner Mutter ist. Hilfe bei der Aufarbeitung erfährt er nicht. Statt klärender Gespräche trifft er auf eine eisige Mauer des Schweigens. Wer sein leiblicher Vater ist, wird er niemals erfahren. Die Eltern nehmen die Antwort mit ins Grab.
Also macht er sich als junger Mann außerhalb des Elternhauses auf die Suche nach Liebe und Anerkennung, aber auch auf die Suche nach der eigenen Identität. Er weiß zwar nicht, wer er ist, aber wer er sein möchte. Mit dem Studium der Sozialpädagogik kommt er zwar seinem inneren Drang nach Gerechtigkeit recht nahe, aber Erfüllung findet er in diesem Beruf nicht. Das ändert sich, als er auf Kunstschaffende trifft, die für ihre Kunst leben und für die Geld zweitrangig ist. Ihn allerdings fasziniert Kunst ebenso wie Geld. Beides bringt er schließlich als Kunstberater zusammen.
Als Quereinsteiger und Nobody macht er sich in der Kunstszene einen Namen. Seine Begabung, die Wertentwicklung eines Kunstwerkes nichtig einschätzen zu können, hilft ihm, Sprosse für Sprosse bis in die oberste Gesellschaft zu erklimmen. Architekten, Managern und großen Geldhäusern vermittelt er wertvolle Gemälde und Skulpturen und schafft die Brücke zu den Künstlern, zu denen er sich hingezogen fühlt, weil sie das haben, was er vermisst: die Erfüllung im Beruf.
Die ständige Suche nach Liebe und Anerkennung sei sein eigentliches Problem gewesen, sagt Achenbach. Nur habe er das erst nach langen Gesprächen mit dem JVA-Pfarrer und der Gefängnispsychologin erkannt. Irgendwann sei ihm der Anstand abhanden gekommen, „weil ich gemerkt habe, dass man sich auf ein gegebenes Wort nicht mehr verlassen konnte.“ Vom Opfer wird er zum Täter, rückt sein eigenes Gerechtigkeitsempfinden durch Betrügereien gerade. Ein fataler Fehler, den er beim mittlerweile verstorbenen ALDI-Erben und Milliardär Berthold Albrecht gemacht habe und den er bis heute zutiefst bereue. „Ich habe einen Freund betrogen, weil ich mich nicht getraut habe, mit ihm eine faire Provision zu verhandeln“, sagt er noch heute kopfschüttelnd. Und auch das habe er erst im Gefängnis gelernt: Über Konflikte sprechen und ehrlich sein. Dazu gehöre auch, Nein sagen zu können. Bis heute besucht er Seminare, in denen es um die radikale Ehrlichkeit geht.
Und so sieht die Wirklichkeit heute aus: Bei den Freunden hat sich die Spreu vom Weizen getrennt. Erhalten geblieben sind die, die den Helge mochten, nicht sein Geld. Und es sind diejenigen, die ihn und seinen Verein „Culture without borders“ vorbehaltlos unterstützen. Günter Wallraff ist einer von ihnen. Bei ihm wohnt Helge seit seiner Haftentlassung. „Günter ist mein Korrektiv“, schmunzelt Achenbach. „Er unterstützt mich in meinen Zielen, mahnt mich aber immer wieder zur Bescheidenheit, damit aus Culture without Borders keine Cap Anamur wird.“
Und da ist seine Freundin Evelina Velkaite, deren Bilder er in der Entstehungsphase bewusst als künstlerischen Akt miterleben darf und mit der er auch gemeinsam malt. „Wir müssen wieder Dankbarkeit lernen“, sagt er und meint damit auch die gesellschaftliche Mitverantwortung eines jeden Einzelnen.

„Die Kunst ist die einzige Ressource, die ihren Wert frei bestimmen kann. Arbeit oder demokratische Wertbestimmung spielen keine Rolle. Damit ist sie eine ideale Projektionsfläche für den Finanzkapitalismus“, führt er in seiner Autobiografie „Selbstzerstörung“ aus. „Wer sich in diesem Haifischbecken bewegt, weiß, dass falsches Spiel hier nicht die Ausnahme, sondern die Regel ist.“ Weil er als „alter, weißer Mann“ die Profitorientierung des Kunstmarktes mit betrieben habe, möchte er jetzt einen kleinen Beitrag zum Wandel leisten. Künstler aus Krisengebieten und Entwicklungsländern, die um ihr Leben betrogen wurden, erhalten Ateliers, Ausstellung und Öffentlichkeit, um ihre Trauer und Ohnmacht in der Schönheit der Kunst zu zeigen.

www.culturewithoutborders.art

Text: Edith Billigmann / Fotos: Edith Billigmann