Im nächsten Jahr geht's mit „Extrawurst“ und 65 Vorstellungen auf Deutschland-Tournee. Im TV hingegen müssen wir bald schon auf Gerd Silberbauer als Hauptkommissar Arthur Bauer in der Vorabendserie „Soko München“ verzichten. „Der einsame Wolf“ verabschiedet sich mit seinem Team am 29. Dezember um 20.15 Uhr zur besten Sendezeit im ZDF.
Und das nicht so ganz freiwillig, wie Silberbauer erzählt. „Das Ende kam für uns alle überraschend“, sagt er und man merkt, dass es noch an ihm nagt. Die Gründe für den Sender seien vielleicht noch nachvollziehbar, die Art und Weise des Umgangs definitiv nicht. Die Produktionsfirma UFA hatte die Entscheidung des ZDF an ihn und seine 40 Kollegen ohne Vorwarnung herangetragen. Und das, obwohl Soko München mit bis zu vier Millionen Zuschauern seit Jahren ein Quotengarant ist. „Eine Schweinerei“, wie es Silberbauer ohne Umschweife beschreibt. Und weil er ein Mann der Gerechtigkeit ist, hat er beim ZDF interveniert und es geschafft, dass zum Abschluss ein 90-Minüter gedreht wird, so dass das plötzliche Ende für den Zuschauer plausibel ist. „Eine Leiche wird ja auch anständig begraben“, so sein nicht zu widerlegendes Argument.
Apropos Gerechtigkeit
Sein ausgesprochenes Gerechtigkeitsempfinden ist auch der Grund, warum Gerd Silberbauer nach dem Abitur mit dem Studium der Rechtswissenschaften beginnt. Als Nesthäkchen unter drei Geschwistern wächst er behütet in Eitelborn, einer kleinen Gemeinde im Westerwald, auf. Und das, trotz des frühen Todes seines Vaters.
„Ich hatte eine tolle Mutter“, sagt er anerkennend. „Sie hat uns vier Kinder alleine aufgezogen.“
Den Trümmerfrauen, die geholfen haben, Deutschland nach dem Krieg wieder aufzubauen, zollt er Respekt und Bewunderung - und tiefe Dankbarkeit.
Aber Jura scheint nicht das zu sein, was er sich erhofft hat. Er wechselt von der Bonner Universität nach Köln, versucht auch da, dem spröden Fach gerecht zu werden, und schreibt sich schließlich für Theaterwissenschaften, Germanistik und Philosophie ein - aber da hat ihn schon längst eine andere Leidenschaft gepackt. Denn bei seinem Job als Kulissenschieber hat er zum ersten Mal Theaterluft geschnuppert - und ist fasziniert. Der Wunsch, einmal auf den Brettern, die die Welt bedeuten, zu stehen, wird immer größer. „Aber wie soll das gehn?“, fragt sich der schüchtere und introvertierte Student, der es nie geschafft hat, aus dieser Lebensrolle auszubrechen.
Dazu verhilft ihm jemand anders - eine Schauspielerin aus München, die ihn 1978 auf die Schauspielschule, an der sie unterrichtet, mitnimmt. Doch es dauert ein halbes Jahr, bis sich der schüchterne Gerd an die Bühnenauftritte gewöhnt hat, und dann will er sie nicht mehr missen. Als er zufällig Christian Tramitz wiedertrifft, mit dem er zwei Jahre auf der Schauspielschule war, wird sein Schicksal besiegelt. Der erzählt ihm von einer freien Theatertruppe, die unter der Leitung des Regisseurs Wolfgang Müller „Amphitryon“ von Peter Hacks einstudiert. Er soll doch mal vorbeikommen und sich vorstellen. Silberbauer geht hin, spricht vor, bekommt die Rolle des Jupiter - die Inszenierung wird ein Riesenerfolg. Auf der freien Bühne schließlich kann er sich entfalten. „Es war wie eine Katharsis“, beschreibt Silberbauer seinen Werdegang. Durch das Theater habe er sich selbst befreit.
Befreit vom schüchternen Jungen aus dem Westerwald, der noch bis ins Erwachsenenalter unter qualvollen Selbstzweifeln leidet. Heftigen Angst- und Panikattacken ist er vor den Auftritten ausgesetzt, auch heute noch ist er nicht der Coole, der über jegliche Selbstzweifel erhaben ist. „Das bleibt“, erzählt Silberbauer, der seit über 40 Jahren in München lebt. „Nur nicht mehr ganz so heftig.“
Dass er auf die große Bühne gehöre, hatte er lange geflissentlich überhört, bis eine Agentin nicht mehr locker lässt und ihn zum Schauspielhaus nach Stuttgart holt. Er brilliert in „Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“, lockt die Aufmerksamkeit des bekannten Schauspielers und Regisseurs Boy Gobert auf sich. Nächste Station ist das Schillertheater in Berlin. Dann folgt München mit den Kammerspielen. „Da habe ich richtig Schauspielen gelernt“, erinnert er sich, seinen Kollegen noch bis heute dankbar, „dass sie mich an die Hand genommen haben.“
Das feste Engagement, den „Knochenjob“, wie er ihn bezeichnet, hängt er fünf Jahre später an den Nagel. Ab 1990 spielt er Freilichttheater. Erst Schwäbisch-Hall (Wilhelm Tell - Beckett oder die Ehre Gottes - Faust), dann Wunsiedel (Heinrich II. - nochmal Tell - Sommernachtstraum (Theseus - Oberon - Don Juan - Der Graf von Monte Cristo - die Möwe) . Ab 1993 erste Fernsehrollen, darunter „Happy Holiday“, ein halbes Jahr dreht er auf Mallorca und lernt es lieben. Dort hat er mittlerweile seinen zweiten Wohnsitz.
Ende der 90-er Jahre sieht man ihn häufig in den Rosamunde Pilcher-Verfilmungen, ab 2000 dann in der Erfolgsserie „Der Landarzt“. Viermal ist er bei der Soko 5113 als Gangster und Mörder dabei, dann bewirbt er sich 2008 für die Rolle des Hauptkommissars. Weil sein Konzept der Hauptfigur fast 1:1 zu dem des Senders passt, erhält er den Zuschlag. Sein Hauptkommissar ist ein Gerechtigkeitsfanatiker, loyal, ein Primus inter pares, ab und zu cholerisch. Nur bei der Namensfindung gehen die Meinungen auseinander. Aus dem von der UFA favorisierten Maximilian Fürst wird der Eigenbrödler Arthur Bauer. „Ein Mann mit Kante“, wie Silberbauer betont, der die Sympathie für sein Alter Ego nicht verheimlichen will. Und es ist eine Hommage an seinen Bruder Arthur und an seinen gleichnamigen Sohn.
Von der Rolle ist Silberbauer so angefixt, dass er freiwillig in die Tiefen der Verbrecherwelt eintaucht. Er geht eine Woche nachts mit der Polizei auf Streife, unterhält sich mit dem Profiler, lernt die Psyche der Straftäter kennen und analysieren. Aus den ursprünglich angedachten fünf Jahren werden schließlich 12. Das Risiko, die Rolle als Serien-Hauptkommissar zu übernehmen und damit aber auch gleichzeitig künstlerisch gebrandmarkt zu sein, geht er bewusst ein. „So war ich finanziell abgesichert“, begründet er seine damalige Entscheidung. Im Theater kann er sich weiterhin entfalten. Seine Rollen sind anspruchsvoll, mal ist es Harras in „Des Teufel General“, Prof. Unrat in „Der Blaue Engel“ oder Dr. Bertram in der „Schachnovelle“. Erst 2018 merkt er, dass die Kraft nachlässt. „Ich habe meinem Körper nie Ruhe gegeben“, weiß er selbst. Als er 2018 wegen einer Netzhautablösung am Auge operiert werden muss und sich das Ganze nochmals am anderen Auge ein Jahr später wiederholt, wird ihm bewusst, dass er nicht nur kürzertreten muss, sondern dass sein Innerstes nach einem Wandel schreit. „Theaterschauspieler zu sein, bedeutet eine enorme Belastung für die Psyche“, sagt er. „Insbesondere wenn man als Figur scheitert. Ich habe ein Leben lang gebrochene Helden gespielt. Das nimmt man mit ins Bett.“
Doch damit ist jetzt Schluss. In der Gesellschafts-Komödie „Extrawurst“ wird er - sofern die Corona-Bestimmungen das zulassen - ab nächstem Jahr sein Talent als Dr. Heribert Bräsemann, Vorsitzender des Tennisclubs, unter Beweis stellen. „Als ich das Stück gelesen habe, habe ich laut aufgelacht“, freut er sich auf die bevorstehende Premiere 2021 in Iserlohn. Dass das Stück ein Satire-Highlight wird, ist mit dem Autorenteam Dietmar Jakobs und Moritz Netenjakob, die 2006 für die Serie „Stromberg“ mit dem begehrten Grimme-Preis ausgezeichnet wurden, garantiert.
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Portrait
Geboren am 26. April 1953 in Eitelborn, ist dort mit drei Geschwistern aufgewachsen, wird mit 11 Jahren Halbwaise
Macht 1972 Abitur am Max-von Laue-Gymnasium in Koblenz
Beginnt in Bonn mit dem Jurastudium, wechselt zu Theaterwissenschaften, Germanistik und Philosophie und besucht 1978 schließlich die Schauspielschule Zerboni in München
Engagements am Württembergischen Staatstheater Stuttgart, am Berliner Schillertheater und am Düsseldorfer Schauspielhaus
1985 Münchner Kammerspiele an der Maximilianstraße; ab Mitte 1990 freier Schauspieler
Ab 1990 Karrierebeginn im TV, zu sehen bei der Soko 5113, dem „Landarzt“, „Drehkreuz Airport“, „Klinik unter Palmen“ und beim „Tatort“
Wird 2008 Nachfolger von Wilfried Klaus in der ZDF-Krimiserie „Soko 5113“ (später Soko München); spielt die auf ihn maßgeschneiderte Rolle 12 Jahre lang
Wohnt jetzt in München und auf Mallorca
Ist seit 2009 in einer Beziehung mit Gesa Michahelles
Hat aus einer früheren Beziehung einen Sohn; Arthur ist 16 Jahre
Nennt sich Jubilario, weil sich „Rentner auf Spanisch besser anhört“
Ist glühender Fan und Dauerkartenbesitzer vom TSV 1860 München; Auslöser war 1994 die Blutgrätsche von Thomas Miller an der Seitenlinie. Silberbauer: „Ich war begeistert von so viel Leidenschaft.“