LOST PLACES


Kein Kunstlicht, kein Arrangement, nur die nackte Wahrheit: Anna und Roman Küffner über die Ästhetik verlassener Orte: Lost Places – so einsam und doch so wunderschön

Wie auf Schienen und nahezu zwanghaft gleitet der Blick in die Mitte des Bildes, verweilt dort, bleibt haften, verliert sich im Detail, erinnert sich und ist irritiert. So einsam, so verfallen – und doch so schön. „Die Ästhetik verlassener Orte kann nur in der Abwesenheit entstehen“, schaltet sich Anna in die Gedanken des Betrachtenden ein. Sie ist Künstlerin und spürt gemeinsam mit Roman seit gut einem Jahrzehnt eben diese verlassenen und oftmals verfallenen Orte auf, bannt sie in die Kamera und verleiht ihnen damit ein Stück Ewigkeit.

Kein Arrangement, kein Kunstlicht, mit geschlossener Blende, Stativ und Fernauslöser fangen Anna und Roman Küffner diese Momentaufnahmen in HDR-Qualität ein, mit wechselnden Perspektiven, damit das menschliche Sehvermögen ausgereizt und am Bildschirm über eine spezielle Bildbearbeitung nachgeahmt werden kann. Und doch verwirren die Bilder, weil sie alle Details gleichwertig ans Licht bringen, die das Auge beim Betrachten nicht gleichzeitig erfassen kann. „Hyperrealistisch“ nennt Roman die Wirkung der Lost Places, die ihre Schönheit gerade im Verfall entfalten.

Anna und Roman sind Kinder ihrer Zeit. Ihr Werkzeug ist die digitale Fotografie und Bildbearbeitung. Als sie 1982 zur Welt kamen, hatten fast zeitgleich auch die ersten kommerziell erhältlichen Digitalkameras das Licht der Welt erblickt. Die Uhr für die analoge Fotografie tickte hörbar, bis sie um die Jahrtausendwende ausgedient hatte und schon bald unter Sammlern als Rarität gehandelt wurde.


Doch zurück ins digitale Zeitalter, in der das Sinziger Ehepaar nicht nur ein gemeinsames Hobby, sondern auch seine künstlerische Bestimmung gefunden hat. Anna, in Neuwied geboren und in Sinzig aufgewachsen, ist gelernte Medienassistentin und hat nach ihrer Ausbildung in Werbeagenturen als Social Media Managerin gearbeitet. Roman stammt aus Leverkusen, hat Medien- und Kulturwissenschaft in Düsseldorf studiert und war als Projekt-Manager in Online-Agenturen tätig.
Über eine Online-Plattform haben sich Anna und Roman kennengelernt und ihre gemeinsame kreative Seite entdeckt. Schon bald wird Köln ihr gemeinsamer Lebensmittelpunkt, Fotografieren und Bildbearbeiten ist ihre große Leidenschaft. Autodidaktisch lernen sie alles. „Von der Pike auf“, erzählen sie stolz. Dass ihre Passion sie einmal zu den verlassensten Orten Europas bringen wird, verdanken sie einem Zufall. Eine Freundin aus London will Anna mit zu dem in Belgien gelegenen und heute nicht mehr erhaltenen Schloss Noisy mitnehmen. „Doch warum an einen verlassenen Ort fahren?“, fragt sich Anna und lehnt ab. Als sie schließlich die Handy-Bilder sieht, ist sie gefangen von der Schönheit, die sich vor ihr entfaltet. Gemeinsam mit Roman beginnt sie nach verlassenen Orten zu suchen, bei ihren Recherchen stoßen sie dabei auf die „Urban Explorers“, eine Bewegung von Gleichgesinnten.

Ihre Bilder haben Seltenheitswert und zugleich Sprengkraft. Und sie verfehlen nie ihre Wirkung. Galerien werden auf sie aufmerksam, doch verkaufen dürfen sie die Bilder aufgrund fehlender Rechte nicht. Das wollen sie ändern und gründen 2012 ihr eigenes Unternehmen, die „Blackbird Street“. Ihre Reisen bringen sie zu den entlegensten Orten Europas. Und diese Orte erzählen ihre ureigene Geschichte. Wie die verlassene evangelische Kirche in Polen, die nach dem 2. Weltkrieg für die Verfehlungen des Nazi-Reiches büßen musste und verfällt. Zeitweise wird sie zur Unterbringung von Ziegen und Schafen genutzt.
Oder das verlassene Haus eines verstorbenen Künstlers in Belgien, das von den Einheimischen vor dem Abriss beschützt wird, weil es in seiner extremen Verwilderung schon eins mit der Natur geworden ist.


Dann wiederum eine verlassene Turnhalle in Prypjat im nahe gelegenen Tschernobyl, der Stadt, die ihren traurigen Bekanntheitsgrad der Reaktor-Katastrophe von 1986 verdankt.

Oder eine alte Heilanstalt in Deutschland, die zwar bessere Zeiten gesehen hat, aber jetzt noch gelegentlich als Hintergrundkulisse für Filmaufnahmen dient.
Und dann ist da noch die extrem baufällige Geister-Kirche in Tschechien, in der ein Kunststudent vor vielen Jahren seine Abschlussarbeit hinterlassen hat, mit der er auf die vertriebenen Sudentendeutschen hinweisen wollte. In Italien entdecken sie ein Kinderheim mit komplett erhaltenem Klassenzimmer und Schlafsaal, in dem die Betten noch bezogen sind. So, als wäre die Zeit stehen geblieben.

„Verfallene Orte sind reale Zeichen der Vergangenheit, die uns auffordern, sich mit ihnen auseinanderzusetzen“, sagt Anna, für die Vergänglichkeit das ganz große Thema ist. Wie sie wagt Roman mit jedem Ort, aus dem ein digitales Kunstwerk entsteht, den Blick in eine andere Welt, die sich ihm in dem Augenblick erschließt, in dem sie von Menschen verlassen wurde. „Ein Abenteuer“, sagt er. „Aber vor allem eine Schatzsuche.“

PORTRAIT
Anna und Roman Küffner dokumentieren mit ihren Fotografien verlassene und längst vergessene Orte. Aus Respekt betritt das Ehepaar diese alten Orte ausschließlich mit Erlaubnis der Besitzer oder Verwalter. Von ihnen erfahren sie die geschichtlichen und teils sehr bewegenden Hintergründe aus erster Hand. 2012 haben sie mit „Blackbird Street“ den Schritt in die Selbstständigkeit gewagt. Seit 2014 stellen sie in nationalen und internationalen Galerien und Kunstmessen aus, darunter im Walzwerk Köln, in der Factory Art New York, im Alten Pfandhaus Köln und 2019 in London und Rom, jeweils beim Format Artrooms. Mit ihren Werken ist das Ehepaar auch im Lumas-Portfolio vertreten.

Kontakt:
Anna und Roman Küffner
Lohpförtchen 8; 53489 Sinzig
Tel.: 0178-1433517
kontakt@blackbirdstreet.com

Text: Edith Billigmann; Fotos: Anna und Roman Küffner; Edith Billigmann