Schiefer trifft den Nerv der Zeit


Wie sich Mayen zur weltweiten Drehscheibe entwickelte

Es ist keine Seltenheit, dass aus der Natur gewonnene Produkte zum Markenzeichen vieler Regionen avancieren. Bleibt man in den Grenzen des nördlichen Rheinland-Pfalz, dann sind das als erstes die mit Weinreben bestandenen Ufer von Rhein, Mosel und Ahr, das Kannenbäckerland mit seinen vielfältigen Keramiken aus dem Westerwald und in der Eifel zweifellos der Schiefer, das „blau-graue Gold“. Vor allem die Region Mayen wird mit dem dunkel schimmernden Gestein weltweit in Verbindung gebracht. Denn schon vor 200 Jahren erkannten die römischen Baumeister die physikalischen Eigenschaften der zu Platten gespaltenen robusten Steine. Sie schützten zuverlässig vor Regen, Sonne und Wind und sorgten für natürliches Klima: Tagsüber hielten sie die Hitze aus den Häusern und Villen, in der Nacht gaben sie wohltuende Wärme wieder ab. Wenn man so will, eine der ersten ökologischen Bauformen, die bis heute geschätzt wird und in unserer aktuell auf Energieeinsparung bedachten Gesellschaft stark in den Vordergrund rückt.

Mehr als zwei Jahrhunderte Schiefer-Geschichte
Dass der Schiefer in der Eifelstadt eine gute Geschäftsgrundlage ist, erkannte bereits 1793 Johann Baptist Rathscheck. Er baute das damals noch knapp unter der Erdoberfläche zu findende Gestein mit Spitzhacke und Schaufel ab. Schon zu Römerzeiten und später im Mittelalter war das Areal rund um den Katzenberg und im Nettetal für ergiebige Vorkommen
bekannt. Als Johann Baptist Ratscheck dort sein Unternehmen gründete, konnte er kaum ahnen, dass es knapp 230 Jahre später eines der führenden in der Welt des Schiefers sein würde. Unter dem Dach der Werhahn-Gruppe aus Neuss, die bereits 1904 die Anteile der Familie Rathscheck übernahm, bauen heute die Geschäftsleiter Andreas Jäger und Frank Rummel mit einem Team von innovativen Spezialisten auf die Zukunft des 400 Millionen Jahre alten nachhaltigen Baustoffs.
Für die Zukunft gerüstet:
Neue Ressourcen erschlossen

Lange Zeit konnte Schiefer in Deutschland abgebaut werden. Doch begrenzte Vorkommen machten es immer schwieriger, sie zu erreichen. 2016 erschloss Rathscheck im Bergwerk Katzenberg aufwändig die elfte Abbausohle in 400 Meter Tiefe. Es sollte die letzte sein. Im März 2019 wurde die Förderung in Mayen endgültig eingestellt, denn die geologischen Formationen in der Region machten einen rentablen Abbau des Moselschiefers nicht mehr möglich. Geblieben ist Mayens internationaler Ruf als Drehscheibe für Schiefer. Denn längst hatte die Rathscheck Unternehmensgruppe als einer der weltweit führenden Schieferproduzenten Mayen zu einem Mittelpunkt des globalen Handels mit dem „grau-blauen Gold“ entwickelt. Vom Stammsitz aus werden heute die produzierenden Tochterunternehmen, die technische Entwicklung, der Einkauf, das Marketing und die weltweite Logistik des Unternehmens gesteuert. Denn weitsichtig hatten die Mayener Schieferexperten früh die Weichen für eine internationale Expansion gestellt. Während viele andere Unternehmen der Branche in Deutschland aufgaben, ging Rathscheck neue Wege und wurde in Galicien im größten Schieferrevier der Welt fündig: Im Nordwesten Spanien hatte Blanco Fernandez bei seinen Streifzügen durch die Seitentäler des „Goldenen Tal - Valdeorras“ anfangs auf einem Lastenesel Schieferplatten gesammelt, sie vor Ort verkauft – und später ein Unternehmen mit dem Namen „Canteras
Fernandez“ gegründet. Zunächst handelte er mit leicht abbaubaren Schiefersteinen von der Oberfläche, bevor er nach und nach bei der Suche auch unter die Erde ging. Es folgte im Laufe der Jahre der Ausbau von „La Fraquina“ zum größten Schieferbergwerk der Welt. Die Wege der deutschen und spanischen Schieferpioniere kreuzten sich, als Rathscheck auf dem internationalen Markt nach Expansionsmöglichkeiten suchte. 1986 entstand als erste hundertprozentige Tochter des Mayener Unternehmens die Rathscheck Pizarras S.A., zu Beginn des 21. Jahrhunderts sicherte sich Rathscheck durch die Übernahme von zwei bedeutenden Produzenten weitreichende eigene Schiefer-Ressourcen und hochmoderne Produktionsstätten im „Goldenen Tal“.

Von der Tradition in die Moderne
Schiefer erlebt als natürlicher Baustein inzwischen eine regelrechte Renaissance. Waren in Deutschland über Jahrhunderte vor allem geschwungene Formate beliebt kommen in der modernen Architektur immer häufiger rechteckige Steine zum Einsatz. Als besonders „revolutionär“ gilt das Rathscheck Schiefer-System: Statt traditionell auf einer Unterkonstruktion aus Holz einzeln vernagelt werden die Rechtecksteine zeitsparend in einem Schienensystem aus Metalltragprofilen und wasserführenden Verbindern fixiert. „Durch die bündige Integrationsmöglichkeit von Photovoltaik-Elementen trifft das System genau den Nerv der Zeit und verbindet Nachhaltigkeit mit grüner Energiegewinnung“ betont Geschäfstleiter Frank Rummel. Sowohl beim Neubau als auch in der Sanierung sieht er große Chancen für die Zukunft des Mayener Unternehmens: „Wir schätzen, dass allein in Deutschland im kommenden Jahrzehnt mehr als 800 000 Asbestdächer erneuert werden müssen. Hinzu kommen viele weitere Um- und Neubauten. Für all diese Projekte eignet sich der Schiefer als nachhaltiges und vor allem umweltfreundliches Material.“ Mit einer durchschnittlichen Haltbarkeit von mehr als 80 Jahren gilt Schiefer nach einer Studie des „Bundes Technischer Experten“ (BTE) als eine der langlebigsten Bedeckungen für Dach und Fassade.
Schiefer macht auch der nächsten Besitzer-Generation einer Immobilie keine Entsorgungs-Probleme: Zerkleinert kann Schiefer als Abdeckmaterial oder Bodenverbesserer später einmal im Garten landen.
Längst ist an dieser Stelle die Geschichte des Schiefers nicht umfassend und zeitlich abgeschlossen auserzählt. Seit mehr als 400 Millionen Jahren lagert das Gestein in der Erde, seit 2000 Jahren dient es zum Bau von Häusern und zur Gestaltung von bewohnbaren Arealen. Da sind die knapp 230 Jahre, die seit der Unternehmensgründung von Johann Baptist Rathscheck zwar nur eine kleine, aber in der technischen Entwicklung und der Vermarktung von Schiefer als Baustoff besonders prägende Epoche. Nicht zuletzt deshalb gilt Mayen als Hochburg für die Ausbildung von Dachdeckern aus ganz Deutschland. Im Bundesbildungszentrum des Deutschen Dachdeckerhandwerks (BBZ) wie beispielsweise auch an der Dachdeckerfachschule im thüringischen Lehesten leistet Rathscheck wertvolle Unterstützung durch fachliche Beratung und eigene Schulungen zur Weiterbildung und zum Kennenlernen der neuen Produkte. „Schiefer ist ein Produkt voll im Trend der Zeit“ lautet die Kern-Erkenntnis einer Untersuchung von Studierenden der Hochschule Koblenz. Und wird wohl noch lange ein Mayener Aushängeschild bleiben.

Text: Arno Boes/ Fotos: Rathscheck