HOFFNUNG gibt es immer, AUCH IM MISSERFOLG


Der Deutschland-Achter hört auf das Kommando eines Moselaners

Jonas Wiesen ist seit Beginn des Jahres 2022 der Steuermann des Deutschland-Achters, der im Leistungszentrum in Dortmund beheimatet ist. Seine Wurzeln hat er an der Mosel, startet für die Rudergesellschaft Treis-Karden. Wir sprachen mit ihm u.a. über den Sprung von der Nachwuchs- in die Eliteklasse des Ruderns und die Aufgaben des Steuermanns im Training und im Rennen.

Jonas, du kommst aus der eher ländlichen Moselregion und hast in Treis-Karden mit dem Rudersport begonnen. Wie kam es zum Wechsel in das Bundesleistungszentrum nach Dortmund?
Jonas Wiesen: Die ersten Kontakte nach Dortmund gab es schon 2013. Da war ich noch auf dem Gymnasium in Münstermaifeld, habe aber bereits den Vierer und den Zweier im Bundesleistungszentrum am Dortmund-Ems-Kanal gesteuert und mit ihnen WM-Medaillen geholt. Ein Jahr später kam dann WM-Bronze erneut als Zweier-Steuermann in der Elite-Klasse hinzu. Da war dann für mich nach dem Abitur 2015 schnell klar, dass ich diese Karriere im Sport durch ein Studium an der TU in Dortmund fortsetzen möchte mit dem Ziel, irgendwann auch den Achter zu steuern. Das ist nun erreicht, nachdem Martin Sauer (Berlin) nach den Spielen von Tokio seine Karriere beendet hat.

Nach einigen Jahren im U23-Achter sitzt du nun an den Steuerseilen des berühmten Deutschland-Achters. Ist der Unterschied gravierend?
Jonas Wiesen: Das ist schon ein großer Unterschied. In den Nachwuchsklassen setzen sich die Mannschaften durch die Altersgrenzen immer wieder neu zusammen und es gibt mit der Europa- und der Weltmeisterschaft nur zwei größere internationale Regatten pro Saison. Der Deutschlandachter ist da eher eine homogene Gruppe, die über einen längeren Zeitraum gemeinsam trainiert. Da ist man als Steuermann gefordert, die technischen Feinheiten im Training mit dem Team zu erarbeiten, damit möglichst alle im Rennen den gleichen Bewegungsablauf ins Boot bringen. Das ist eine Grundvoraussetzung für einen schnellen Achter. Dafür ist der Kader, aus dem der Deutschlandachter gebildet wird, das ganze Jahr über in Dortmund präsent. Man trainiert fast täglich zusammen und arbeitet viel intensiver als Team. Hinzu kommt, dass die Saison mit der Teilnahme
an Welt-Cup-Rennen als Aufbau hin zu den internationalen Meisterschaften doch deutlich länger ist, man also seine Zeit für Training, Studium und Freizeit detaillierter planen muss. Für den Laien sieht es so aus, als säße der Steuermann nur hinten im Boot und feuere seine Ruderer lautstark an, die ihn möglichst schnell über die Strecke ziehen.

Was gehört tatsächlich alles zu deinen Aufgaben im und rund um das Team?
Jonas Wiesen: Die Aufgaben als Steuermann sind weit vielfältiger, als es für den Laien den Anschein hat. Der Steuermann ist quasi der Kopf des Teams, muss seine Mannschaft im Training und vor allem im Rennen führen. Im Training ist er der verlängerte Arm des Trainers im Boot. Man muss Fehler oder Unregelmäßigkeiten im Ruderschlag erkennen und korrigieren, die Mannschaft durch entsprechende Kommandos in einen gemeinsamen
Rhythmus bringen, der dann allen Ruderern in Fleisch und Blut übergeht und im Wettkampf über 2000 Meter auch durchgehalten wird. Es sind schließlich acht Individualisten, die über die rund fünfeinhalb Minuten eines Rennens zu einer Einheit verschmelzen müssen. Im Rennen geht es darum, diese im Training erarbeitete Einheit anzuführen, sie technisch zusammenzuhalten, natürlich durch sie die Anfeuerung auch zu motivieren und die Rennstrategie über die Kommandos an das Team weiterzugeben. Etwa wenn Zwischenspurts gefahren werden, der Ruderschlag nach dem Start in den längeren Streckenrhythmus übergeht oder der Zeitpunkt des Endspurts anzusagen ist. Dazu muss man als Steuermann das Rennen „lesen“, muss möglichst die Strategie der Gegner erkennen und darauf reagieren können. Die Ruderer verlassen sich da auf ihren Steuermann, dass er sie möglichst optimal durch das Rennen führt. Was also einfach aussieht wie reinsetzen und sich über das Wasser ziehen zu lassen, ist auch für den Steuermann durch die Anspannung und Konzentration mit Anstrengung und Arbeit verbunden.

Rudern ist bekanntlich kein Profisport, mit dem man Geld verdienen kann. Wie sehen deine beruflichen Pläne für die Zukunft nach der Sportkarriere aus?
Jonas Wiesen: Mein Master-Studium in Wirtschaftsmathematik habe ich abgeschlossen, aber konkrete Planungen für ein berufliches Ziel stehen aktuell nicht im Vordergrund. Derzeit konzentriere ich mich auf die Vorbereitungen auf die Olympischen Spiele 2024, wie es danach weitergeht werden wir sehen.

In diesem Jahr lief es sportlich für dein Team nicht so richtig gut. Sind die Enttäuschungen schon verarbeitet und wie soll es mit Blick auf Olympia in Paris wieder auf die Erfolgsspur gehen?
Jonas Wiesen: Wir haben das Ergebnis akzeptiert. Die Mannschaft war in diesem Jahr völlig neu zusammengestellt und musste auch durch Krankheiten, Verletzungen oder Ausbildungsverpflichtungen immer wieder umgebaut werden. Natürlich hatten wir das Ziel, besser abzuschneiden, aber wir verstehen die Misserfolge auch als Antrieb für die Winterarbeit. Da gibt es im Herbst zum Start des Trainings für die Saison 2023 noch vieles zu besprechen. Klar ist aber, dass wir als Mannschaft stabiler werden müssen, die Physis im Team muss verbessert werden und an der Rudertechnik gibt es auch noch einiges zu feilen.

Rudern gilt als sehr trainingsintensiver Sport. Gibt es trotzdem noch Zeit für private Kontakte und Besuche an der Mosel?
Jonas Wiesen: Die meiste Zeit bin ich in Dortmund, die Besuche im Verein und bei meinen Eltern in Brieden sind da doch eher selten. Aber dank der sozialen Medien pflegen wir einen guten Kontakt mit regelmäßigem Austausch. Bei der Rudergesellschaft Treis-Karden bin ich ehrenamtlich im Vorstand und bringe da meine Erfahrungen und Kontakte in die Ruderszene gerne aktiv mit ein.

Der Deutschland-Achter ist von den letzten drei Olympischen Spielen in London, Rio und Tokio immer mit einer Medaille heimgekehrt. Darf man für Paris hoffen?
Jonas Wiesen: Hoffnung gibt es immer, sonst bräuchte man sich nicht im Training quälen und in die Rennen zu gehen. Bei den Weltmeisterschaften 2023 steht zunächst die Olympiaqualifikation an und für die werden wir im kommenden Winter hart arbeiten. Der Winter 2023/24 steht dann ganz im Zeichen der Vorbereitung auf die Spiele. Wir sind eine junge Mannschaft und da ist noch viel Potential für Verbesserung. Die müssen wir natürlich nutzen, aber Hoffnungen für Paris sind mehr als gegeben.

Dann wünschen wir auf diesem Weg viel Erfolg und hoffen mit dir auf weitere gute Ruderjahre am Steuer des Deutschland-Achters.
Jonas Wiesen: Vielen Dank und herzliche Grüße an die Mosel in meine Heimatregion.

Mit Jonas Wiesen sprach Arno Boes | Fotos: Detlev Seyb, meinruderbild.de