Das Gebäude liegt nahe der Lahn in einem idyllischen Teil von Villmar, Oberau 4. Von außen eher schlicht gehalten, fast puristisch, birgt es Schätze von besonderer Schönheit, Farbe und von fast beispiellosem Alter. Mit etwas Glück trifft man auf Ursula Alban, Irmgard Rado oder eine andere Museumsführerin, bzw. einen anderen Museumsführer. Danach ist man um vieles schlauer und vor allem tief beeindruckt.
Ursula Alban ist Vorsitzende des Lahn-Marmor-Museum e.V. Irmgard Rado ist Mitglied im Vereinsvorstand und im Stiftungsbeirat. Beide gehören mit einigen anderen zu den treibenden Kräften, die das Museum in dieser Form erst möglich gemacht haben bzw. es am Leben erhalten.
Das Lahn-Marmor-Museum zeigt alles Sehenswerte über Entstehung, Abbau und Nutzung des Lahnmarmors, der im eigentlichen geologischen Sinn gar kein Marmor ist.
Vor rund 380 Millionen Jahren
Doch gehen wir einfach einmal chronologisch vor und reisen in der Weltgeschichte 380 Millionen Jahre zurück, in die Zeit des Mitteldevon. Die heutige Lahnregion war damals noch ein Teil eines ganz anderen Kontinents und lag rund 20 Grad südlich des Äquators. Nach der Millionen Jahre dauernden Verschiebung der Kontinente liegt diese Region heute rund 50 Grad nördlich des Äquators. Vor 380 Millionen Jahren waren riesige Flächen von einem teils tiefen, in weiten Teilen aber eher flachen, warmen Meer bedeckt. Aus diesem Devonmeer kamen die ersten Wirbeltiere an Land.
Über tausende von Jahren hatte sich ein Stromatoporenriff gebildet. Stromatoporen sind koloniebildende Meerestiere, die den Schwämmen zugeordnet werden. Abgestorbene Stromatoporen sowie die zu Boden sinkenden Kalkbestandteile von abgestorbenen Korallen, Seelilien, Kopffüßern und Schnecken bildeten über die Zeit eine viele Meter dicke Schicht. Jahrmillionen, Gebirgsbildungen und vulkanische Aktivitäten führten zu einer Verdichtung und daraus folgend zum Riffkalkstein. Aus Sicht der Geologen fehlte ein metamorpher Prozess, also ein höherer Druck und eine höhere Temperatur, um aus dem Riffkalkstein, oder Massenkalk echten Marmor zu machen, wie wir ihn etwa als Carrara-Marmor kennen.
Weniger Druck hat auch Vorteile
Der damals fehlende Druck und damit der nicht stattgefundene Umwandlungsprozess hat für uns heute einen großen Vorteil. Die versteinerten Kalkbestandteile der Lebewesen sind heute noch gut erkennbar. Gerade dies macht den Reiz des Lahnmarmors aus. Seine Entstehungsgeschichte kann somit aus dem Stein gelesen werden.
Die Geologen sprechen von Massenkalk, Steinmetze zum Beispiel verwenden den Begriff Marmor, denn es ist ein polierbarer Kalkstein, der am Ende der Bearbeitung die Optik von Marmor hat.
Es gibt insgesamt über 100 Varietäten, also Varianten des Lahnmarmors. Hierzu gehören zum Beispiel Famosa Violett, Schupbach Schwarz, Steedener Rot oder Balduinsteiner Grau. Geologen und erfahrene Steinmetze können diese Varietäten oft den jeweiligen Steinbrüchen zuordnen. Von Wetzlar bis Balduinstein wurde in den über 100 Brüchen im Laufe der Zeit Lahnmarmor abgebaut.
Lahn-Marmor wurde weltweit verbaut
Die Lubentiuskirche in Dietkirchen ist auf diesem Lahn-Kalkstein im 11./12. Jahrhundert erbaut worden. Beim Bau des Limburger Doms wurde ebenfalls dieser Kalkstein verwendet.
Seit dem 16. Jahrhundert stieg der Bedarf der Katholischen Kirche für Marmor deutlich an. Italien, mit seinen schon damals bekannten Marmorbrüchen – zum Beispiel in Carrara – war jedoch weit, der Transport beschwerlich und teuer. So rückte der polierte Kalkstein von der Lahn – der Lahnmarmor – in den Mittelpunkt des Interesses.
Ein größerer Abbau von Lahnmarmor kann erstmals 1594 für eine Burg im Sauerland belegt werden. Aufgrund der damals beschränkten technischen Möglichkeiten waren Abbau und Transport noch sehr mühsam. Ab Mitte des 19. Jahrhunderts verbesserten sich die Transportmöglichkeiten deutlich, insbesondere durch die Lahntalbahn und die Kerkerbachbahn. Seit Ende des 19. Jahrhunderts sind auch größere Betriebe nachweisbar, die Lahnmarmor gebrochen und verarbeitet haben.
Noch heute ist der Lahnmarmor in zahllosen Kirchen, Prachtbauten und herrschaftlichen Häusern in Deutschland und Europa zu finden. Aber auch weit darüber hinaus. Beim Bau des Empire State Buildings in New York 1929/30 wurden für das Foyer die Varietäten Estrellante und Famosa Rot verwendet. Klangvolle Bezeichnungen dienten dem Marketing. Noch heute ist dieser Stein von der Lahn in dem Foyer zu bewundern.
Seit den 1960er Jahren wurde der Abbau an der Lahn nach und nach eingestellt. 1989 wurden im Villmarer Bongard-Bruch noch bereits gebrochene Blöcke geborgen. Damit endeten fast 400 Jahre Abbaugeschichte des Lahnmarmors. Über 100 Marmorbrüche waren in dieser Zeit betrieben worden.
Ein Museum nimmt Gestalt an
1997 war die Vereinsgründung des Lahn-Marmor-Museum e.V. durch engagierte Bürgerinnen und Bürger. Die Weilburger Rotarier engagierten sich ebenso wie der damalige Bürgermeister des Marktfleckens Villmar oder der Prinz von Wied, der in seiner Burg Runkel auch Ausstellungsräume zur Verfügung stellte. Fördermittel der Europäischen Union (EFRE) an den Marktflecken Villmar trugen dazu bei, das geplante Museum auf die Beine zu stellen. Wie Ursula Alban berichtet, war die Umsetzung der Museumsidee, der Bau, nicht immer einfach. Es habe durchaus auch Widerstände gegeben.
2016 konnte dann das im Stil der Industriearchitektur gehaltene Museum eröffnet werden. Ohne ehrenamtliches Engagement wäre dies nicht möglich gewesen. Nach 3500 geleisteten Stunden habe man aufgehört zu zählen. Auch die Konzeption, die Innengestaltung, das Einbringen und die Präsentation der Exponate wurden vom Verein geleistet.
Grundsätzlich hat das Lahn-Marmor-Museum einen wissenschaftlichen Anspruch. Die Führungen sind aber so konzipiert, dass sie für alle Besucher verständlich sind. Derzeit stehen fast 30 Ehrenamtliche zur Verfügung, die auch Führungen durch das Museum machen.
„Wir kommen mit den Einnahmen klar, aber wir machen keine Gewinne“, sagt Ursula Alban. Manchmal bekommt der Verein mit seinen rund 200 Mitgliedern und das Museum Zuschüsse für einzelne Projekte. So erzählt Irmgard Rado zum Beispiel von einem Zuschuss des Landes Hessen für einen kleinen Imagefilm.
Im Museum selbst ist die Dauerausstellung in drei Bereiche aufgeteilt. Unter dem Stichwort „Geowissenschaften/Geologie“ wird ein Vergleich zwischen gestern und heute gezogen. Gesägte Platten, Fossilien und Filme erklären die geowissenschaftlichen Facetten des Lahn-Marmors.
In einem zweiten Teil informiert das Museum über den Abbau, die Verarbeitung und den Transport des Lahnmarmors in den rund 400 Jahren seiner wirtschaftlichen Nutzung. Die meist sehr harte Arbeit wird anschaulich mit Werkzeugen, historischen Fotos und Texttafeln dokumentiert.
Der dritte Teil der Dauerausstellung zeigt die Verwendung des Lahnmarmors. Schreibgarnituren, Vasen und Schalen sind im Original zu sehen. Über die weltweite Verbreitung und Anwendung des Lahnmarmors wird mit Bildern und Texttafeln informiert.
Der Unica-Bruch
Nach dem informativen und beeindruckenden Besuch des Lahn-Marmor-Museums lohnt ein kleiner Spaziergang zu dem rund 400 Meter entfernten Unica-Bruch. Eine drei Meter hohe und 15 Meter breite glattgesägte und polierte Wand gibt einen „weltweit einmaligen Einblick in ein mittedevonisches Stromatoporenriff in Lebendstellung“. Zu erkennen sind noch die ehemaligen Tiere dieses Urmeeres, Wachstums- und Störungsphasen und ein Beispiel für das breite Farbspektrum des Lahnmarmors. Dieses Natur- und Kulturdenkmal bietet einen direkten Blick auf die Zeit vor 380 Millionen Jahren.
Deshalb hat der Unica-Bruch auch mehrere Auszeichnungen erhalten. 2005 wurde er mit den Prädikaten „Nationales Geotop“ und „Planet Erde – Welt der Geowissenschaften“ ausgezeichnet. Im Mai 2022 wurde er, nach einer 3D-Vermessung, Geotop des Monats der Deutschen Geologischen Gesellschaft – Geologische Vereinigung (DGGV).
Das Lahn-Marmor-Museum und der Unica-Bruch sind jedes Jahr Ziele zahlreicher Studenten und Wissenschaftler. Auch und gerade den Nichtwissenschaftlern bietet dieses Kleinod an der Lahn Beeindruckendes und Staunenswertes. Vieles, was man so sicher noch nie gesehen hat.
Fotos: Lahn Marmor Museum