„Ich war so ein Kind mit einem Koffer“, erinnert sich Elisabetta Giannattasio, die zwischen zwei Welten aufwuchs. Behütet in Langenbach bei Kirburg im Westerwald bei ihrer Mutter, ein bisschen wilder und bunter in der Stadt Eisenach in Thüringen bei ihrem Vater. Dass diese Mischung ihr ganzes Leben und auch ihre Persönlichkeit beeinflusst, hat die heute 38-Jährige mittlerweile erkannt: „Ich glaube, dass man auch das wird, was man gezeigt bekommt.“ Es ist der rote Faden, der sie bis heute lenkt und treibt.
Eine Baustelle ist nie genug
Nach ihrem Realschulabschluss absolviert Elisabetta eine Friseurlehre, macht im Anschluss ihren Meister und mit 19 Jahren stürzt sie sich mit ihrem eigenen Friseursalon in die Selbstständigkeit. Zwölf Jahre lang geht sie dort ihrem Handwerk nach, bis sie sich dazu entschließt, neue Wege einzuschlagen. „Ich habe diese zwölf Jahre geliebt und es war mega geil, diesen tollen Laden zu haben und die Menschen zu kennen. Und es war perfekt, im richtigen Moment aufzuhören. Schon als ich aufgemacht habe, habe ich gesagt, ich will den jederzeit verkaufen können. Wenn ich morgen keine Lust mehr habe Haare zu schneiden und bevor ich ein schlechter Friseur werde, höre ich auf.“
Doch sie bleibt der Branche treu. Sie arbeitet fortan hauptberuflich für einen Friseur-Exklusivmarkenvertrieb, bildet Friseur-Trainer aus, die wiederum andere Friseure ausbilden. Sie ist viel in Deutschland unterwegs, pendelt vom Westerwald nach Stuttgart. Heute sogar bis nach Regensburg, weil sie jetzt seit ein paar Monaten im Brandmanagement arbeitet, was bedeutet, dass sie Exklusivmarken im Friseurbereich für den deutschen Markt entwickelt. Platz und Zeit für andere Projekte findet sie trotzdem irgendwie immer.
Egal, ob es das Schreiben einer Kolumne oder die Betreuung eines eigenen Ferienhauses ist. Zeitweise kauft sie alte Möbel, arbeitet diese auf, lässt sich von den Stücken sagen wie sie heißen und schreibt ihnen eine frei erfundene Lebensgeschichte, um sie dann weiter zu verkaufen. Bei ihr ist immer volles Programm. „Ich kann nicht aushalten, wenn ein Tag, wie der andere ist!“, sagt sie und ist daher froh, einen abwechslungsreichen Job und „viele Baustellen“ zu haben.
Ein Studio mit lila Boden
Mit einer Idee und einer Baustelle fing auch die Lebedame an. Elisabetta suchte nach einer Möglichkeit, ihren Job mehr in ihren Alltag im Westerwald zu integrieren, die Ausbildung der Leute in ihre Heimat zu verlagern, damit sie weniger unterwegs ist. Vielleicht ein kleiner Raum mit einer Friseurecke, aber kein Ladenlokal mit Öffnungszeiten. Doch aus dieser Idee wurde so viel mehr.
Letztendlich entschied sie sich für eine alte Möbelfabrik in Unnau-Korb. Mehr als 200 Quadratmeter Fläche, keine Wände, doch der Industriecharme überzeugte. Schnell füllte sich ihr Kopf mit verschiedenen Ideen zur Nutzung der besonderen Räumlichkeit. „Dann habe ich mir gedacht, wenn ich es schaffe, einen Ort zu schaffen, der so schön ist, für mich, dass andere Menschen sich da wohlfühlen, dann kommen die schon auch. Und das hat funktioniert. Das ist wie ein kleines Wunder!“ So entstand im Westerwald ein Raum, der für alle offen ist. Ein Ort, an dem Menschen zusammenkommen und einfach so individuell sind und sein dürfen, wie sie es eben sind. „Da, wo der Boden lila ist“ wird Vielfalt gefeiert und aufkommende Langeweile gestillt.
Immer was los
An jedem ersten Samstag im Monat ist nachmittags geöffnet und wer Lust hat, kann einfach vorbeikommen. Da ist es nicht unüblich, dass Menschen aus allen Generationen zusammenkommen und zum Beispiel gemeinsam basteln. „Ich muss wirklich sagen, hier klopfen so viele Menschen an die Tür. Mein Freundeskreis, der eh schon sehr groß war, hat sich nahezu verdoppelt. Wir sind wie so eine Family. Es hat auch schon fast einen Kommunencharakter. Es ist so schön, was alles passiert ist, was ich alles erleben durfte und was für Dinge einfach auf mich zukommen.“
Mit der Lebedame hat Elisabetta einen Raum geschaffen, der sich immer in die Form verwandelt, in der er gerade gebraucht wird. Sie vermietet das Studio für alle möglichen Zwecke: Fotoshootings, Videodrehs, Businessmeetings, Workshops, Konferenzen und vieles mehr. Eine Haar-Ecke gibt es selbstverständlich auch. Es werden regelmäßig kreative Kurse angeboten – von ätherischen Ölen, Töpfern oder Papierschöpfen bis hin zu Yoga oder einem Vollmond Cacao Circle ist alles dabei. Und wer mit einer neuen Idee um die Ecke kommt, ist herzlich willkommen. „Mein Motto ist: Sag mir, was du machen möchtest, wir setzen uns zusammen und finden einen Weg.“
Ein besonderes Highlight ist auch die „Fiesta Schöngeist“, die einmal im Jahr stattfindet und Menschen aus nah und fern zusammenbringt. Es gibt Musik, gutes Essen, viele Aussteller, die ihre Kunst und ihr Können präsentieren. Kurzum: „Ein Fest von einem Haufen Wahnsinniger, die einfach irgendwie Bock darauf haben!“
Leben und genießen
Die alte Möbelfabrik wurde zu neuem Leben erweckt und das sollte sich auch in der Namensgebung widerspiegeln. „Ich wollte keinen Namen, der beschreibt, was es ist. Weil ich ja selber nicht wusste, was es ist. Ich wollte nichts, das meinen Namen trägt. Und ich wollte vielleicht auch ein bisschen provozieren. Mir gefällt aber auch das Wort.“ Außerdem stellt sie klar, dass nicht sie die Lebedame ist, sondern der Raum.
Eigentlich ist eine Lebedame eine weibliche Person, die möglichst viele Genüsse jeglicher Art für sich in Anspruch nimmt. Irgendwie also ein nicht ganz passender Begriff für diesen vielseitigen Ort, aber irgendwie eben doch. Denn es wird genossen und auch gelebt – und zwar so, wie jeder möchte. Außerdem mag Elisabetta, dass das Wort Leben darin vorkommt und „Dame ist vielleicht ein bisschen so die Revolution, die gerade vorherrscht“, so die 38-Jährige, die sich beruflich oft in Männerbereichen aufhält und oftmals mit den Hürden, die das Frausein mit sich bringen, konfrontiert wird. Genauso habe sie aber auch die Vorteile im Blick.
Was die Zukunft so bringt
Was sie zukünftig noch alles machen und erleben möchte, weiß Elisabetta aktuell noch nicht. Sie lässt lieber alles auf sich zukommen und macht das, worauf sie Lust hat. „Stillstand kann ich nicht leiden! Und entwickeln tun sich Dinge immer. Und das aufzuhalten wäre töricht. Aber in welche Richtung weiß ich noch nicht. Weil ich weiß, wenn ich es plane, dass es sowieso anders kommt. Deswegen spare ich mir das und schaue, was passiert.“ Eine gesunde Einstellung, die ihr auch dabei hilft, sich vom Stress nicht übermannen zu lassen.
Dass es aber Tage gibt, an denen ihr auch mal alles zu viel wird, ist doch klar. „Ich lebe in Extremen. Ich unterschreibe meine Weihnachtskarten mit ‚Alles zu viel, deine Betta!‘. Früher habe ich gedacht, ich müsste die Mitte finden, aber ich kann die Mitte einfach nicht leiden. Also bin ich immer entweder Vollgas, aber genauso tief falle ich auch. Aber das ist einfach das Leben und das ist okay, weil ich ja auch sau oft oben bin. Ja, es ist mir oft zu viel, aber ich kann es auch im nächsten Moment aber genauso genießen.“ „Ich brauche diese zwei Welten und das ist gut“, ist sie sich sicher und sie müsse halt eben lernen, alles unter einen Hut zu kriegen.
Und sollte es hier und da doch mal eng werden, weiß sie genau, auf wen sie sich verlassen kann. „Ich glaube, und das schon von Kind an, das beste soziale Umfeld zu haben, was ein Mensch haben kann. Ich glaube, ich habe coolere Freunde als alle anderen auf der ganzen Welt. Ich bin einfach super gebettet. Mir wird auch immer geholfen. Ich bin glaube ich niemand, der permanent Hilfe zieht, aber für alle Belange habe ich auch eine Telefonnummer. Ich bin nicht allein. Ich versuche das sicherlich auch zurückzugeben, aber wahrscheinlich profitiere ich mehr.“
Und auch für auftauchende Probleme hat sie die perfekte Lösung parat: „Ich sortiere Probleme nach Tagen. Und das ist dann das Problem von dann. Das ist mein neues Lebensmotto. Das habe ich auch schon an viele verteilt. Da hätte ich gerne ein Patent drauf. Du kannst es nur dahinlegen, wo du es auch lösen kannst.“ Eine Einstellung, von der sich wahrscheinlich die meisten Menschen mal eine Scheibe abschneiden sollten.
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Text: Jacqueline Schlechtriem
Fotos: @paaschephotography, privat